Ein Schreibratgeber aus Ceróns Serie: Nachschlagwerke, damit man es auch wirklich schafft, einen Roman zu veröffentlichen. Ceróns Buchtipps betreffen immer Englische Literatur. Man mag es Cerón nachsehen. Das ist eben so.
Bibliographische Angabe
Autorin: Jessica Brody
Titel: Save the Cat Writes a Novel
Verlag: Ten Speed Press
Erschienen: 2018
Bibliographische Angabe
Autor: Tad Williams
Titel: Das Geheimnis der großen Schwerter (4 Romane)
Verlag: Hobbit Presse Klett-Cotta
Erschienen: 1988 bis 1994
Ich möchte hier ein Buch vorstellen, das für mich zum wichtigsten Schreibratgeber wurde. Es ist Jessica Brodys Werk Save the Cat Writes a Novel von 2018. Es basiert auf die Theorien des Autors und Drehbuchschreibers Blake Snyder. Die Serie Save the Cat umfasst mittlerweile fünf Werke. Unter dem gleichen Namen finden Sie auch eine Webseite, die Ihnen weitere Informationen liefert. Jessica Brodys Werk trägt den Untertitel: The Last Book of Novel Writing You’ll Ever Need. Genau das ist es. Save the Cat basiert auf die Theorie, dass jeder Roman und jeder Film aus fünfzehn Hauptplotpunkten bestehen sollte.
Es ist schwer, die Inhalte zusammenzufassen, denn sie sind so kompromiert, dass ich unweigerlich zitieren müsste. Ich werde mich hüten, dies zu tun. Die Welt ist voller Riffhaie. Das Problem ist, dass man nicht weiß, in welchen Gewässern man schwimmt und daher auch die meidet, in denen lauter nette Mondfische schwimmen.
Das sind unglaublich skurrile Fische mit einer Riesenflosse. Echt geniale Unikate. Die Welt könnte voll von ihnen sein. Aber leider gibt es Menschen, die die armen, riesigen Mondfische lieber auf ihrem Teller sehen, um sich selbst besser zu fühlen. Das sind die mit den Walen und dem radioaktivem Ozeanwasser.
Also ich toleriere das ja gar nicht. Aber da niemand auf mich hört, habe ich meine Feder zum Schwert gemacht. In einem meiner Fantasy-Romane wird ein süßer Mondfisch zu einem magischen Boten, der einer netten Umweltschützerin hilft, den Helden zu retten. Eine meiner Liebingsszenen. Aber leider ist das eher sehr, sehr subtiler Naturschutz, auch Hommage genannt. Lieber würde ich auf die Riesenflosse des Mondfischs eine Rakete montieren und die bösen Schurken ... auf den Mond schießen.
Fünzehn Plotpunkte bringen Struktur und schüren die Spannung. Die werden in Prozenten genau festgelegt. In vielen Filmen können Sie die Uhr danach stellen. Avatar, um nur einen zu nennen. Es gibt vier Akte. Beschäftigen wir uns mit dem ersten Akt. Der ist vorerst der Wichtigste, schließlich soll der Leser gut ins Buch kommen und gerne weiterlesen.
Wir beginnen jedes Buch (und jeden Film) mit einem opening image und einem set up, also der Erklärung, wer unser Protagonist ist und was er so alles macht. Darin kommt dann auch das theme stated vor. Das bedeutet: Der heimliche Held wird mit dem Finger in der Keksdose erwischt und einer ruft: »Du, Du« und danach eine Kinderschreck-Maxime von Struwwelpeter, Max und Moritz & Co. Sie wissen schon: ›Aus dir wird nie was. Das gibt noch einmal ein böses Ende.‹ Wir wissen jetzt: Der Protagonist baut Mist. Wenn er so weitermacht, dann gibt’s Ärger.
Das alles in eine Geschichte übersetzt: Lucky Billy lebt in Wild West City und ist ein fieser, mieser Lümmel. Ärgert alle mit seiner Steinschleuder, wirft lauter (... laut, lauter? Nein, das sollte Revierdeutsch sein, also nicht nachahmen!) Scheiben ein, hat aber ein gutes Herz. Dann kommt Proto-Brutalo in die Stadt. Das ist dann der catalyst, die Initialzündung. Jetzt geht die echte Geschichte los. Danach wird debattiert, dass sich die Balken biegen. Anschließend gibt es den break into 2. Beim break entscheidet Lucky Billy, dass er eher Lucky Luke sein möchte als Billy the Kid, und dass er Proto-Brutale ganz unbedingt verjagen will. Mit dieser Entscheidung gleiten wir dann in den Akt 2. Alles was wir nun vorantreiben hat ein Ziel: Proto-Brutalo zu besiegen, aber noch mehr: Lucky Hero zu sehen. Das wollen wir doch: den Strahle-Helden. Sein Weg ist steinig: Höhepunkte, Tiefpunkte und ein
Den Rest der Struktur verrate ich nicht, aber das mit Lucky Billy wollte ich loswerden. Außerdem ist das hier ja eine Buchempfehlung. Also kaufen, selber lesen! Ich kriege auch keine heimliche Provision.
Wenn ich bei der Ausarbeitung zögere, dann verinnerliche ich mir stets mein Save-the-Cat-Schema, so wie sich ein Wanderer vergewissert, ob er noch auf dem richtigen Waldweg läuft. Auf dem Drucker auf meinem Schreibtisch steht ein Pappaufsteller mit dem Save-the-Cat-beat-sheet (siehe Erklärung im Buch Save the Cat). Den hat mein absolut treuester Cerón-Fan extra für mich gebastelt.
Mein Aufsteller ist aus der braunen Rückwandpappe von einem Gratis Dekor-Kalender, einmal geknickt, damit er besser steht. Der Kalender stammen von der Kunsthandlung Boesner von vor zwölf Jahren. Damals verschenkten Sie mehrere Kalender, weil das Jahr schon drei Monate tobte. Die ersten Monate hatten sie abgerissen. Ich habe die Kalender trotzdem mitgenommen, weil sie sich an der Wand schön machten. Jedes Jahr neu. Gelebte Nachhaltigkeit.
Der Aufsteller hat vier senkrechte Abschnitte für die Akte (act 1 / act 2a fun & games/ act 2b bad guys / act 3 final). Darauf sind vier schmale Pappleisten (aus überhängigem Material) geklebt. Die sind oben offen wie Taschen. Das sind meine Taschen für die Notizpapiere. Heißt: Auf den Leisten stehen die Plotpunkte (oder beats, deshalb auch beat sheet), auf den Papieren in den Taschen steht, was gerade im Kapitel geschieht. Das kann ich dann munter umdrapieren.
Muss man nicht?
Muss man schon!
Hand auf Herz. Mein Lieblingsfehler ist, dass ich den midpoint des Buches falsch andenke. Nach dem midpoint geht es so richtig ab (Vulkan bricht aus, Schiff geht unter, Schurke sammelt seine Schurkentruppen, Bösewichte möchten den Riesen-Heimatbaum der Navi zerstören etc.). Klingt logisch. Leider sind die Bösewichte in Avatar auch schon vorher böse. Aber wenn wir das literarisch nicht abgrenzen — bisschen böse, Mittelpunkt, ganz böse — dann kommen wir nicht gut ins Finale. Dann fühlt sich der Leser wie beim Tauziehen und legt das Buch weg.
Mit meinem Pappaufsteller kontrolliere ich mich selbst.
Mein letzter Roman zum Beispiel. Absolut spannend und atmosphärisch dicht, doch wir rätselten ewig, wo der midpoint wirklich sei. Ich fand da, wo ich ihn hatte. So logisch wie eine Eichel, die unter einem Eichenbaum liegt. Doch der absolute L-Cerón-Fan sah den midpoint quasi einhundert Seiten vor dem Ende. Die Argumente waren glaubhaft. Ziemlich starke Szene auch, eine der besten im Buch.
Schon zögerte ich, erschrak. Huch! Habe ich den Roman falsch konzipiert, falsche Zeichen gesetzt? Muss ich die Szene von hinten nach vorne holen? Aber das geht ja nicht, weil ... und so weiter. Ich saß mit fieseligem Gesicht herum, knobelte, grämte mich, wollte gleich das ganze Manuskript löschen etc. Was man eben so macht, wenn man echt sauer und ratlos ist.
Für mich wurde Save the Cat Writes a Novel mehrmals zum Skript-Retter. Nicht jeder hält sich eng an das 15-Plot-Schema, hier zu nennen nur Tad Williams mit seiner Sage über Osten Ard oder Dostojewskis Die Dämonen. Sind sie Plotter oder schreiben Sie einfach drauflos und lassen sich in eine Geschichte treiben? Aber wenn sie das Skript bearbeiten, dann überlegen Sie, ob Sie die Hauptplotpunkte richtig gewichtet haben oder noch Stellschrauben anziehen können. Sie fühlen sich wohler dabei, garantiert.
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©L.C./16.8.22/L. Cerón schreibt Abenteuer-Romane über Underdogs und Palastrevolutionen, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.
Disclaimer: Die hier vorgestellten Bücher sollen meinen Text untermauern. Sie sind also nur Werbung in eigener Sache. Ich erhalte keine Provisionen oder bin sonst wie mit den Verlagen oder den Autoren vernetzt. Vorsichtshalber möchte ich Sie darauf hinweisen, bevor ein falsches Bild entsteht. Danke. L. Cerón.