Anekdote

Von der Schwierigkeit von magischen Blumen

Schon mal überlegt, was passieren könnte, wenn man als Fantasy-Autor eine wunderschön blühende, exotische, außerirdische Riesenblume beschreibt? Herrlich, nicht! Die Blume ist auch noch klug, ein Orakel quasi. Aber dann las das eine Probeleserin und fragte: ›Ist die Blume böse? Will sie, dass die Welt explodiert?‹ BAFF! Sprachlos.
Eine Glosse aus L. Ceróns 10.000 Fehler-Blog oder wie man es schafft, keinen Roman zu veröffentlichen.

Bibliographische Angabe

Quelle: First Nations; American Indian Legends

Titel: A Navajo Indian Legend: The Fifth World

Quelle www.firstpeople.us

Abgerufen: 13.04.2010; 13:58

Bibliographische Angabe

Autor: Lyman Frank Baum

Titel: Oz: The Complete Collection / Illustrated Edition

Verlag: Maplewood Books

Jahr: 2013

Bibliographische Angabe

Autor: L. Cerón

Titel: Shoot the Freak

Verlag: Kindle

Jahr: 2014

Bibliographische Angabe

Autor: Tad Williams

Titel: The War of the Flowers

Verlag: Daw Books Inc.

Jahr: 2003

Magische Blumen ...

... sind nichts Außergewöhnliches. Magische Bohnenranken gab es schon in europäischen Sagen. Magisches Schilf wuchs auch in den Sagen der Diné oder besser bekannt als Navajo, ein Volk der First Nations in Nordamerika. Sie pflanzten das Schilf, damit es bis hinauf in die Fünfte Welt wuchs, die es neu zu erkunden gab. Von da ab ist es nicht weit bis zum Zauberer von Oz, einer bezaubernden Geschichte für Jung und Alt.
Ich, Cerón, habe die Motive gestohlen. Die Smaragdstadt aus dem Zauberer von Oz bildet ein Leitmotiv der Freundschaft zwischen Neal und Oliver, den Protagonisten aus dem ersten Buch meiner Mariañaca-Saga. Es heißt Shoot the Freak. Der Wind der Fünften Welt ist ein Kapitel aus dem Buch und beruft sich auf die Sage der Diné. Sie wird allerdings in eine Diskoszene zweier zerrissener Typen portiert.

So weit so gut.

Aber wenn L. Cerón selbst magische Blumen erfindet, dann tun sich finsterste Abgründe auf.

Doch beginnen wir vorne.

Meine magische Blume lebt auf einem fremden Planeten in einem Öko-Szenario. Sie ist riesig. Sie ist ein Heiligtum. Sie ist so alt wie die Zeit. Sie ist ein Orakel. Wenn sie ihre Blüten schließt, dann droht Unheil. Kennen wir von anderen Dingen. Der Schönwetterfrosch in seinem Einmachglas (Welch Tierquälerei!) kündigt schönes Wetter an. Die Sonnenblumen drehen sich mit dem Sonnenstand.

Puya raimondii

Meine magische Blume bezieht sich auf die ñukch’u. Auf Quechua, der indigenen Andensprache bedeutet ñukch’u wie Salbeipflanze. Es ist eine heilige Pflanze der Inca. Sie wird mit Taytacha Temblores, dem Gott der Erdbeben assoziiert und auf zeremoniellen Vasen und Kleidung dargestellt.
Ich wählte eine Puya raimondii. Das ist eine Pflanze aus Südamerika, die bis zwölf Meter groß wird und einen Blütenstand von acht Metern hat. Sie kann einhundert Jahre alt werden, aber blüht nur ein einziges Mal. Dann bildet sie aber Tausende Blüten aus. Sie sieht aus wie eine riesige Kerze. Leider ist sie bedroht. So wie überall: Die einen brauchen sie als Brennholz, die anderen haben Angst, dass sich ihre Herden an den stacheligen Blättern verletzen. So wird die stolze, herrliche Blume einfach abgebrannt. Ignoranten!
Die Puya raimondii habe ich also zu meiner magischen Blume gemacht, zu meiner Blumengöttin, zu meinem Orakel.

Doch dann geschah es

Meine liebe, nette, magische Orakelblume wurde zum Monster. Sie schloss ihre Blüten, um zu explodieren und die ganze Welt zu vernichten.

Ach herrje! Wie kann das denn?
Das habe ich ja gar nicht geschrieben, Ehrenwort.

Aber meine Probeleserin hat dies ganz anders gesehen und genau das in meinen Text hinein interpretiert.
Wieso? — Ja, das fragte ich mich auch.

Es half auch nicht, dass ich ausdrücklich hinzuschrieb: ›Die Blume ist eine Botin des Friedens‹, ›trägt die Farbe des Friedens‹, all dies. Offensichtlich wurde mein Frieden zum Frieden aus Orwells 1984, und die arme Blume zur Kriegstreiberin gekürt. Na prima!

Also kreierte ich einen Nachsatz und schrieb: die Heilige Blume, die ›Blumengöttin‹. Deutlicher geht es nicht. Doch meine Probeleserin hatte schon mit der Blume abgeschlossen. Die war nun die rachsüchtige Helena von Zeus hoch oben auf dem Olymp, egal wie ich die Blume schmückte und kleidete.

Ich ließ ein liebliches, goldenes Glöckchen am Eingang des Blumentempels läuten, bevor die Blume ihre Blüten schloss. Auch falsch. Plötzlich sahen alle nur das Glöckchen, nicht die Blume. Das Glöckchen wäre kindisch. Okay. Sagte und schrieb keiner laut, aber ich sehe Blicke und kann auch zwischen den Zeilen lesen. Soll ich lieber Glocke schreiben oder Gong? Nein! Ein Blick in Gesichter und auf Texte in spe und ich vergaß den Gedanken.

Ich wollte aber meine Blume retten. Also: Texte zwanzig Mal umgeschrieben, fünfzig Mal überarbeitet. Kürzer gemacht. Länger gemacht. Weniger erklärt.

Mehr erklärt. Richtig schöne Dinge, voller Mystik und Ideen.

Gähnen.
1. Zu lang.
2. Brauchen wir hier nicht.
3. Müssen wir das alles wirklich wissen?
Nein. Wir müssen eigentlich gar nichts wissen.

Dann der absolute Lieblingsspruch, wegen dem ich morden könnte:
»Bringen Sie das später!«
Später, so wie gar nicht.

Ich habe es ja versucht, bin ja flexibel. Schließlich wanderte die Blume immer weiter vom Anfang weg nach hinten ins Buch (später sogar ein ganzes Buch in der Trilogie weiter hinten).

Doch dann geschah es: Die Blume und ihre Vorhersage war nun einmal essentieller Bestandteil des Plots. Also schummelte ich sie wieder mit Andeutungen nach vorne. Sie war auf der Staatsflagge, einem Tempel-Dekorfenster, auf dem Höhenruder eines Staatsfliegers, auf Geschirr usw. Selbst ihre Farben waren plötzlich überall. Doch dadurch wirkte die magische Blume noch nebensächlicher. Uninteressant auch. Überflüssig sogar. Und ihr Orakelspruch verschwand ohnehin ganz. Ja, im zweiten Roman brauchen wir dann auch keine Vorausdeutung mehr. AHA!

Eine Probeleserin riet gar: Das ist mir alles ohnehin zu mystisch. Typische Anfängerfehler. Da kommt man ja gar nicht mit. Fangen Sie doch da an, wo man sich als Leser auskennt. Nicht da irgendwo in einer Fantasy-Fremde, sondern in einem Café in Hamburg. Zeitung lesen, TV schauen etc. Dann brauchen Sie auch gar nichts zu beschreiben, das versteht der Leser ganz alleine. AHA! Ich sitze also nicht mehr in Öko-Futur-Saturn-City vor einer magischen Blume, sondern in einem Café in Hamburg. Das ist dann Fantasy?

Fazit

Schwer.

Erste Auslegung: Offensichtlich war meine magische Blume zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Leserschaft wartete in diesem Moment auf ein anderes Signal. Etwas Handfestes zum Beispiel. Sätze wie: ›Großes Unheil lag in der Luft. Selbst das ewige Orakel spürte es.‹ Nicht mehr. Dann mit der Geschichte weiter. Oder ein Kapitel mit Orakel und Blume. Anfangen mit: Das Orakel war eine Blume. Sie sah in die Zukunft. Fertig. Keine Blume beschreiben, keine Glocke, nicht, nur die Prophezeiung.

Zweite Auslegung: Offensichtlich finden magische Blumen keine Akzeptanz. Ich beschreibe diese herrliche, exotische Riesenblume mit Elan, um auf die Katastrophe einzustimmen. Doch ich hatte das Gefühl, meine Probeleser dachten: Was will die nur mit ihrer d... Blume?

Dabei ist die Blume so schön beschrieben. Wo sie steht. Wie sie wirkt. Der Typ dabei. Die Prophezeiung. Das hat was.

Oder alles ist doch ganz anders. Es gibt so viele Lesearten wie Leser*innen.

Aber bis meine Trilogie mit der magischen Blume fertig geschrieben ist, verweise ich auf ein anderes Buch. Tad Williams The War of the Flowers oder auf Deutsch Der Blumenkrieg. Manche kritisieren, dass es in Schachtelsätzen geschrieben wurde, typisch Tad Williams verschwurbelt eben. Auf jeden Fall gibt es da Blumen. Auch wenn die Welt explodiert, die Blumen garantiert nicht. Das ist doch mal was.

***

©L.C./19.9.22./L. Cerón schreibt Abenteuer-Romane über Underdogs und Palastrevolutionen, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.

Disclaimer: Die hier vorgestellten Bücher sollen meinen Text untermauern. Sie sind also nur Werbung in eigener Sache. Ich erhalte keine Provisionen oder bin sonst wie mit den Verlagen oder den Autoren vernetzt. Vorsichtshalber möchte ich Sie darauf hinweisen, bevor ein falsches Bild entsteht. Danke. L. Cerón.