Eine Anekdote aus L. Ceróns 10.000-Fehler-Blog — oder wie man es schafft, keinen Roman zu veröffentlichen.
In unserer Popkultur hat sich der bewaffnete Kampf als Allheilmittel etabliert, wenn ein Held seine Vision einer besseren Welt umsetzt. Aber solche Lösungen sind in unserer Realwelt nicht akzeptabel. Somit lernen wir durch die Popkultur zu wenig, heißt: wir lernen abstrakte Versionen von Gut und Böse. Aber wir lernen keine praktikablen Lösungen. Ich möchte das anhand eines Beispiels aus meiner Buchwelt erläutern.
2014 schrieb ich ein pazifistisches Szenario. Ich stellte den Roman einem Publikumsverlag vor, er kam in die Programmkonferenz und wurde mit 3:2 Stimmen abgelehnt. Aus heutiger Sicht logisch, denn ich raufe mir die Haare, wenn ich das heute lese. Doch es war eben mein erster Roman. Ich war absolut motiviert, aber ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Nach der Absage wollte ich das Szenario »auffrischen«, um es noch einmal anzubieten. So fragte ich mehrere Probeleser um Rat. Und jetzt geht´s los!
Ein zehnköpfiges Team sollte auf eine Auslandsmission, um im Feindesland den Stand des Umweltschutzes zu kontrollieren. Es gab flache Hierarchien. Ich verzichtete auf einen dominanten Kommandanten. Der Einsatzleiter einer Umwelttruppe traf sich mit Teammitglied X auf einer Terrasse bei Kaffee und Kuchen. Er schlug ihm die Mission vor. X war engagiert und hat die Missionsziele selbst festgelegt. Danach rief X seine Freunde an. Wer Lust hatte, nahm an der Mission teil. Alles ganz locker. Dachte ich.
Dann hagelte Kritik der Probeleserin.
Das können Sie so aber nicht schreiben!
Es gibt ja gar keine Konflikte.
Die Szene ist recht unspannend.
Was wollen Sie mit Ihren Frösche-tragenden Hippies?
Ich dachte mir: Das ist ja der ganze Konflikt: Frösche-tragende Hippies ändern mit ihren Mitteln die (Um-)Welt. Alle denken: Das geht ja gar nicht. Und alle staunen, wie es dann doch geht.
Aber ich bin, hoffentlich, ein offener Mensch. So dachte ich mir: Warum nicht ausprobieren, ob es auch anders geht. Mit der engagierten Probeleserin haben wir dann die Szene mehrmals überarbeitet.
1. Aus Teammitglied X wurde ein Kommandant.
2. Er lehnt die Mission zuerst ab, damit wir einen Konflikt haben (was ziemlich zickig kommt).
3. Kaffee und Kuchen haben wir gestrichen.
4. Wir haben nicht mehr draußen auf der Terrasse gesessen, sondern in einem Büro.
5. Wir haben keine luftigen Handys benutzt, sondern eine Projektionswand.
Aber jetzt war die Szene noch immer nicht gut. Also weiter.
6. Wir haben die Szene von der Regenwald-Terrasse in die Hauptstadt verlegt.
7. Wir haben einen Kommandostab erfunden.
8. Wir haben die Verteidigungsministerin dazu gestellt.
9. Der General und Innenminister kamen hinzu.
10. Es wurde diskutiert und gestritten.
11. Der Ton ist nicht mehr locker, sondern militärisch.
12. Teammitglied X wurde zum Befehlsempfänger und Tü tenkasper der Szene.
Ja, jetzt hatten wir einen klassischen Military-Anfang. Ziemlich politisch. Ziemlich hierarchisch. Inkongruent, da es nicht den Roman wiederspiegelte. Alle, was das Öko-Szenario ausmachte, war weg, es blieb nur bei halbherzigen Öko-Beschreibungen, die keinen mitreißen.
Ja, welches Fazit würden Sie denn ziehen, liebe*r Leser*in? Ich finde, dass der bewaffnete Konflikt einfacher zu erklären ist, denn er braucht nur wenige Worte, wenige Zeichen, geringe Aufmerksamkeitsspanne auch. Aber ist das wirklich das Zeichen, das unsere Gesellschaft setzen sollte? Mexikanische Drogenbosse, Diktatoren und Scheindemokraten jedweder Couleur machen es uns vor, wie Abschreckung funktioniert, aber ich möchte ihnen das nicht nachahmen.
Und zugegeben: Auch meine Öko-Helden liefern sich Scharmü tzel, um ihre Ziele durchzusetzen. Ich schreibe deftige Scharmützel und Zweikämpfe gerne. Doch ich biete stets auch eine pazifistische Variante zur Konfliktlösung an.
Ich habe mir meinen eigenen Weg gesucht. Das erste Kapitel ist längst zum Break into 2 geworden, so dass ich mir für die Charakterexposition und die Beschreibung des Naturstaats viel mehr Zeit lassen konnte. Aber das hat mir kein*e Probeleser*in verraten, nur der absolute Cerón-Fan.
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© L.C., 4.2.23.
L. Cerón schreibt Abenteuerromane über Palastrevolutionen und Underdogs, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.
Disclaimer: Diese Glosse bezieht sich auf ein Frühwerk des Titanwelten-Zyklus etwa 2014/2015. Der Roman befindet sich in Bearbeitung und soll veröffentlicht werden, daher sind einige Inhalte so dargestellt, dass sie nicht zu viel von der neuen Handlung verraten.