Sind Kurzgeschichten noch in oder liest man lieber einen dicken Schmöker oder eine knackige Reportage? Wie kritisch dürfen sie überhaupt sein? L. Cerón stellt einige Kurzgeschichten-Sammlungen vor.
Aus der Serie: L. Cerón plaudert über die vier A’s: Alltägliches, Ärgernisse und Außergewöhnliches im Alltag (dem literarischen Alltag). Buchtipps gibt es auch. Biologisch — logisch!
Bibliographische Angabe
Autor: Ursula K. LeGuin
Title: The Unreal and the Real
Genre: Short Stories
Publisher: Saga Press
Erschienen: 2016
Bibliographische Angabe
Editor: John Joseph Adams
Titles: Wastelands (1 und 2)
Genre: Short Stories
Publisher: Titan Press
Erschienen: 2020 und 2015
Tipps aus dem Archive.org
Autor: Paul McAuley
Title: Child of Stones
Genre: Short Story
Publisher: SCI-FI.COM, Internet Archive
Erschienen: 2003
Tipps aus dem Archive.org
Autor: Joan D. Vinge
Title: To Bell the Cat
Genre: Short Story
Publisher: SCI-FI.COM, Internet Archive.
Erschienen: 1977 in Isaac Asimov's Science Fiction Magazine
Tipps aus dem Archive.org
Autor: Robert Sheckley
Title: A Wind is Rising
Genre: Short Story
Publisher: SCI-FI.COM, Internet Archive.
Erschienen: 1957 in Galaxy Magazine
Tipps aus dem Archive.org
Autor: Gardner Dazois
Title: A Kingdom of the Sea
Genre: Short Story
Publisher: SCI-FI.COM, Internet Archive
Erschienen: 1972 Orbit 10 ed. Damon Knight GP Putnam’s
Früher habe ich immer gedacht: Ach nee, keine Kurzgeschichten, das sind ja nur halbe Geschichten. Außerdem sind die immer gruselig oder traurig oder ultrabrutal. Na ja. Das ist eben Kunst. Aber kann Kunst nicht einfach schön sein, ohne mich gleich zu schocken?
Aber dann habe ich mich genauer mit Kurzgeschichten auseinandergesetzt. Zum Beispiel bietet das Internet Archiv — die Webseite www.archive.org — viele Kurzgeschichten gratis zum Lesen und Download an. Ich hatte mich dereinst für Sci-Fi-Geschichten interessiert, die auf SCIFI.COM veröffentlicht worden waren. Darunter waren Geschichten von 2003 wie the Child of Stones von Paul McAuley. Aber auch ältere Geschichten wie To Bell the Cat von Joan D. Vinge von 1977 oder A Wind Is Rising von Robert Sheckley von 1957. Ich habe diese drei Texte einmal per ›Käse-picken‹ herausgesucht, wie eine Schweizer Kollegin es nannte.
Was ihnen allen gemein ist: Die typisch unaufgeregte Erzählung mit knappen, exakten Beschreibungen. Natürlich ist Englisch gemeinhin schnörkelloser als Deutsch. Haben Sie einmal eigene literarische Texte übersetzt? Sie werden überrascht sein.
Das Schöne: Den Geschichten, die ich las, lastete nichts Gruseliges an. Keine Schlabbermonster oder zwanzigarmige Tentakeltiere, die über Land wandern. Hier wird dem Genre Sci-Fi oft Unrecht getan. Auf Gesellschaftskritik stieß ich allemal. So begann die Geschichte A Kingdom by the Sea von Gardner Dozois damit, dass der Protagonist mit einem Hammer in der Hand Kühe tötete. Ich zweifelte. Welches Fazit kann ich erwarten?
Ich habe von Ursula K. Le Guin die Habenichtse und den ersten Teil der Books of Earthsea gelesen. Ihr Schreibstil irritierte mich anfangs, weil er so direkt (fast unpersönlich) und zugleich so nah ist, doch als sich das legte, blieb die Faszination. Erwartungsvoll schlug ich also ihre Kurzgeschichten auf. Das Buch nennt sich The Unreal and the Real und stammt von 2016, ist also ziemlich neu. Darin finden Sie neundunddreißig Kurzgeschichten, die Sie unbedingt lesen sollten, wenn Sie Kurzweil suchen. Ursula Le Guin bleibt sich selbst treu. Sie suchen Tiefe und Kritik und Sie werden sie finden. Alles ganz locker.
Mein nächstes Augenmerk möchte ich auf die beiden Bände von Wastelands legen, die John Joseph Adams editierte. Der Untertitel lautet The Apocalypse und More Stories of the Apocalypse. Hier haben sich gleich große Kaliber zum Weltuntergang geäußert: Doctorow, Card, Silverberg, Martin, Brin, um nur einige zu nennen. Zusammen über sechzig Kurzgeschichten über Umweltfrevel & Co. Wenn wir jetzt noch nicht wissen, dass die Welt untergeht, dann sind wir einfach ziemlich dumm. Also man ran. Lesen. Dann verstehen, warum die Welt untergeht und etwas dagegen tun.
... kommt auch in fast allen Geschichten von Cerón vor. Denn: Ich mag es gar nicht, wenn Bäume gefällt und Büsche zerhackt werden, wenn eine Wildwiese gegen ökologisch toten Rasen getauscht wird und keiner den armen Schnecken und Insekten auch nur fünf Prozent ihres/seines Gartens schenkt. Weg mit Ameisentod, Wespentod, Schwebfliegentod, Waltod, Elefantentod. Bei mir dürfen Hornissen in der Hauswand leben gleich neben meiner Haustür.
Ich verteidige auch die These, das Bäume Lebewesen sind, die ihre Umgebung wahrnehmen. Wie schön, sich vorzustellen, dass sie sich miteinander über die Wurzeln austauschen, dass die dicke, alte Eiche ihrem winzigen Ableger mehr Nährstoffe zukommen lässt, damit ihr Baumkind neben ihr wächst. Doch lassen wir Menschen das zu? Nein! Wir reißen alles heraus und pflanzen eher gekaufte Setzlinge in den Boden.
Ewig schade auch um die hunderte Jahre alten Eichen vor unserer Kate. Sie waren so dick, dass man eine Krokodil hätte darum wickeln konnte. Doch als der Tornado kam, wurden die Riesen einfach umgepustet. Als sie dann so vor uns lagen, noch lebendig und doch schon tot, da dachte ich an die Fledermäuse, die dort gewohnt hatten, an die brütenden Finken, die Wildtauben, an Rotkelchen und Heckenbraunelle und Kleiber. Klar finden sie neue Lebensräume, aber wie lange, wenn wir alle großen Bäume fällen und nur solche anonymen Spargel-Stöcke leben lassen?
Die amerikanischen Autor*innen schreiben lieber von apokalyptischen Giften und dergleichen. Sie haben schließlich noch mehr Wälder als wir.
Wenn Sie sich für Umweltfragen (und andere no-go-areas) interessieren, lesen Sie doch mal wieder Kurzgeschichten. Und zur Frage, ob die dann kritisch sein dürfen, sagt L. Cerón knapp: »Immer rein. Call to action!«
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©L.C./3.11.22/L. Cerón schreibt Abenteuer-Romane über Underdogs und Palastrevolutionen, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.
Disclaimer: Die hier vorgestellten Bücher sollen meinen Text untermauern. Sie sind also nur Werbung in eigener Sache. Ich erhalte keine Provisionen oder bin sonst wie mit den Verlagen oder den Autoren vernetzt. Vorsichtshalber möchte ich Sie darauf hinweisen, bevor ein falsches Bild entsteht. Danke. L. Cerón.