L. Cerón plaudert über die vier A’s: Alltägliches, Ärgernisse und Außergewöhnliches im Alltag (dem literarischen Alltag). Hier und heute lässt Cerón Dampf ab über ein stetig wiederkehrendes persönliches Ärgernis.
Mein erster Essay nach meiner Reha befasst sich mit dem, was mich seit vielen Jahren immer neu ärgert, wie ein Perpetuum mobile. Die Gesichter ändern sich, die Ausreden auch, aber der Fakt bleibt: Die Baum-Mörder gehen um!
Da wohne ich nun seit einigen Jahren - der Großstadt temporär müde - in einem Einhundertvierzig-Seelen-Dorf am Rande eines Moores. Um das ländliche Paradies perfekt zu machen in einer Art historischer Wohnanlage mit mehreren umgebauten Backhäusern, Schafställen und so weiter, so wild auf einer Wildwiese verteilt wie mit einer Ballmaschine verstreut. Efeu an den Hauswänden und an den uralten Eichen, blühender Blauregen mit Stämmen dicker als jede Mangrove und stolze vierzig Jahre alt. Igel, Vögel, Frösche, Insekten. Welch Idyll, die Gartenvögel von Ast zu Ast flattern zu sehen, die Insekten tanzen zu sehen - gleich gute Laune!
Und dann geschah es. Um es einmal literarisch auszudrücken: Ohne midpoint-party sind wir gleich zu den bad guys close in übergegangen.
Wie?
Und zwar so:
Ein Tornado ließ die beiden vierhundert Jahre alten Eichen im Vorhof kippen wie ein Segelboot, das langsam kentert. Wir schauten zu. Keine vier Meter Entfernung, gerade einmal getrennt durch Haus und Haustür, kippte der eine alte Baumriese um und rollte vor unsere Haustür. Da blieb er dann liegen, der Baumriese, ich glaube acht Monate. Der Weg verschüttet, kein Durchkommen nirgends. Glück gehabt, dass wir eine Minute vorher vom Spazieren zurück kehrten. Das war 2022.
Nullnichts Paradies.
Der Vermieter sagte, wir pflanzen gleich neu, doch dann traf den Vermieter das gleiche Schicksal wie die alten Bäume. Das Anwesen ging eine Generation weiter - und von Öko auf Nicht-Öko.
In diesem Sommer wurde das Dach des Haupthauses gedeckt. Weg mit dem Reet. Würde ich nicht tun, ist aber irgendwie verständlich. Aber wie vermisse ich die Vögel, die aufs Dach flogen und munter im Reet pickten. Stattdessen eine weite rote karge Ziegelfläche, die sich schrecklich aufheizt.
Nullnichts Paradies!
Zugleich verschwand der üppige Blauregen, der so wunderbar traumhaft über den Eingangsweg zum Haupthaus rankte wie ein Baldachin in einem Märchenschloss. Er gab diesem Landhaus Charme, eine gewisse Einzigartigkeit. Äste dick wie Elefantenbeine. Blüten. Insekten. Weg. Stattdessen kahle Hausfläche wie Abertrausende andere Fachwerkhäuser auf der ganzen Welt. Tot wie der Eismond Dione.
Nullnichts Paradies.
Es hieß, es würde Struktur ins Grundstück gebracht werden. Doch ich glaube an nichts Gutes, wenn der Mensch von Struktur erzählt, wenn es um Natur geht. Da bin ich kein Pessimist, sondern Realist.
Wahrlich!
Hecke und Büsche sind jetzt auch weg. So darf der Herr Nachbar hübsch auf dem Präsentierteller sitzen, wenn Autos und Räder vorbeifahren. Wir dito. Stattdessen hübsch weiße Stümpfe wo einst Grün spross. Ja, Leute! Da sitzt man natürlich gerne, weil man will, dass einem jeder in die Suppe guckt. Ist das nun Struktur? Eher eine Romantik zwischen Fußballfeld und Autobahnraststätte.
Nullnichts Paradies.
Bleibt die Frage, warum wir Menschen neuerdings denken, dass wir uns wohler fühlen, wenn wir auf dem Chinesischen Platz wohnen. Kaffee auf Asphalt trinken. Unter einem Sonnenschirmdach Marke Plastik Halbwertzeit einhunderttausend Jahre. Mit einem Zwergblümchen auf dem Tisch, das gleich in den Müll wandert, wenn es nicht mehr blüht. Kein Gewissen? Nein!
Nullnichts Paradies.
Ist das alles nun Struktur? Oder Kultur? Natur nicht!
Auch der Rest kriegte den Strukturstempel verpasst. Efeu abreißen, kahle Wände mit Wurzelspuren des früheren Lebens und toten Blättern die langsam zu Boden rieseln wie bei Avatar I. Und wo einst Büsche mit zwitschernden Vögel wuchsen, sind jetzt kahl abgesägte Holzfläche auf Kniehöhe, oberschenkeldick.
Nullnichts Paradies.
Hier nicht, da nicht, dort nicht.
Wie schrieb ich es in meinem mehrbändigen Solar-Eco-Szenario, das ich vor einer Woche beendete:
»Was haben die Zinaikaner gegen stattliche Bäume?«
»Dann müssten sie hochschauen. Aber sie wollen sich größer fühlen als die Natur. Daher wird alles geköpft.«
Fazit:
Hier wurde ein vierzig Jahre altes Biotop unwiederbringlich vernichtet. Als Beispiel für alle Biotope & Co. Hier. Weltweit.
Struktur - Kultur - Natur!
Selbst mein Vater, der mehr auf Flughäfen lebte, der alles modern und geradlinig haben musste, der bis in jede Fußspitze ein Geschäftsmann war, liebte seinen Garten und seine Vögel. Da musste ein Gärtner her, der Äste fachgerecht und liebevoll stutzte, damit sein Garten wie ein Park wirkte. Doch solch ein Gebahren ist heute wie eine Orchidee. Offensichtlich wissen diese Frevler nicht mehr, was ein Park ist, was schön ist, die kennen nur Natur Marke Bonsai XS bitte!
Struktur bedeutet:
billig und schnell abholzen.
Im Sommer wird´s schon irgendwie grün und im Winter schauen wir einfach weg. Oder sehen wir diese hässlichen Baumstümpfe einfach nicht? Ist das Schöne verloren gegangen? Suchen wir das paradiesische Grün nur im Urlaub? Oder gibt es einfach keine kompetenten Gärtner der alten Schule? Baumkunst. Gartenkunst. Kunstgarten. Paradies-Kunst?
Ich sehe Krieg gegen die Natur. Ein Ausrottungskrieg gegen Bäume, Büsche, Vögel, Insekten. Frösche vom Asphalt kratzen. Jeden Tag mehr.
Der Krieg ist lautlos. Das Grün verkümmert still, die Vögel verhungern still, die Insekten, nun was sollen diese fiesen, pickenden Krabbler überhaupt in unserem Kunstgarten?
Was hörte ich neulich? Dass Naturfilmer auf Archivmaterial zurückgreifen müssen, weil sie sonst nicht fündig werden. Verhungert weiter, ihr Lebewesen, solange unser Tisch gedeckt ist.
Atemluft - nein danke!
Haben sie auch schon dieses Kratzen Hals?
Genau meine Meinung. Alles höhere Gewalt! Klimawandel. Schön immer weiter abholzen, Biotope vernichten. Eulen und Fledermäuse in Abwasserkanäle verbannen, weil wir die Bäume killen.
In dem Sinne wünsche ich besinnliche Weihnachtstage.
Ach ja und danke den Gemeinden, die einen klimageschädigten Weihnachtsbaum aufstellten. Nicht immer nur die stolzen, gesunden fällen, auch wenn das am meisten Spaß macht, kennen wir ja schon von den Gladiatoren.
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©L.C./02.12.23/L. Cerón schreibt Abenteuer-Romane über Underdogs und Palastrevolutionen, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.