L. Cerón plaudert über die vier A’s: Alltägliches, Ärgernisse und Außergewöhnliches im Alltag (dem literarischen Alltag). Hier wieder in eigener Sache. Ein verlorenes Ökotop ... verlorene Paradiese ... Teil 2 Finale. Cut!
Ein Essay (Teil 2 Final) über ein verlorenes Biotop. Ein Essay über die lebensfeindliche Auslegung eines angeblich modernen Strukturdenkens. Ich schreibe auch über die Vorboten eines solchen Verhaltens: Die drei Stufen eines Egoisten.
... Was ist das und wie hängt das zusammen? Gestern diskutierten wir. Mich klärte jemand über seine Meinung auf. Ich fand die Meinung sooo inspirierend, dass ich sie nun weitergebe! Er sagte, es gibt:
1. Stufe. Der Egoist: Egoismus pur mit absoluter Rücksichtslosigkeit.
2. Stufe. Der Egoist: Egoismus, aber bitte mit gesellschaftlicher Akzeptanz.
3. Stufe. Der Nicht-Egoist: Alle, die nicht wie 1 und 2 sind.
Fallbeispiel 1
Nun ... Und plötzlich wird der Deckel zur Sickergrube abgehoben und darunter klafft ein tiefes Loch. Die Arbeiten sind auch am Abend noch nicht abgeschlossen.
Ich sage nur so nebenbei (weil ich ein höflicher und kommunikativer Menschen sein möchte und keinen Streit suche, obwohl ich eigentlich doch gerne Streit hätte, aber das nichts bringt): »Wir sollten das Loch schließen, damit keine Tiere hineinfallen und umkommen.«
Sagt Person xyz: »Die Tiere sind mir egal, solange es keine Kinder sind.«
Man kann diesen Satz wohlwollend interpretieren oder nicht. Ich nicht.
Merke! Es ist eben gesellschaftlich nicht akzeptabel und bringt juristischen Ärger, wenn da ein Kind hineinfällt.
Merke: Klar, ein Tier ist eine Sache. Ist egal, ob es darin verelendet. Ich lasse es (zufällig) leben. Es sollte danke sagen.
Fallbeispiel 2
Was sagte der Handwerker neulich? Ärger mit den Ameisen in der Wohnung? Staubsauger an und rein. Warum das Loch in der Wand verschließen?
Merke: Aufräumen geht auch. Wenn nichts (Marmelade, Schweppes Mojito, Nudeln) offen steht, sind auch die Ameisen weg.
Oder bin ich da zu sensibel? Kopf ab und weg?
Alle Tiere, Pflanzen? Ja. Nein. Wie sagt es der Duden: Ethos ist ein Bewusstsein sittlicher Werte.
Ich bin voll egoistisch und pfeife auf alles Leben außer auf meines. Aber ich will vor der Gesellschaft in gutem Licht stehen. Aber ich will keinen juristischen Zoff, weil das mein Geld kostet. Nur deshalb schließe ich diese unheilvolle Klappe der Sickergrube. Aber welche Klappe schließe ich heimlich nicht? Und wie viele Insekten sterben in Dosen und Staubsaugern und durch Ameisengift? Brauchen wir alle nicht, gibt genug davon. Gibt auch genug Menschen? Weg damit? Wenn ich das sage, gelte ich als Misanthropin, doch das bin ich nicht, Leute!
Frage: Warum leben Menschen neuerdings so gerne in einer sterilen Konservendose?
Frage 2: Warum gibt es jetzt wohl diesen Begriff Öko-Faschisten? Also Vorsicht, gegen Artentod zu wettern!
... wenn er romantisch an den Fassaden von jahrhundertealten Schlössern klettert ...
... im Sommer und Winter grün ...
... Hort für Millionen Insekten, Käfer, süße Krabbler und fliegende Schönheiten ...
... für brütende Amseln, Zaunkönige und ihre Freunde ...
... für Vögel, die vor Regen Schutz suchen ...
... Klettergerüst für kleine Mäuse.
Die Häuser werden geschützt vor Witterung und gedämmt auch, das Klima soll sich auch verbessern ... und ... und ... und ...
Es gibt tausend Gründe für Efeu, ganz abgesehen davon, dass er einfach super romantisch aussieht.
Und trotzdem wird Efeu überall vernichtet. (Nur auf Gräbern nicht, welch Hohn). Weil jemand gesagt hat, dass er die Fassaden zerstört, das alles feucht wird. Das bleibt in den Köpfen hängen. Alles andere nicht.
Fazit:
Efeu ist Gift für jedes Haus, für jeden Bürger.
Merke: Auch wenn Schlösser älter sind als alle Häuser. Efeu zerstört sie. Ja.
Deshalb will ich Efeu nicht, ich nicht, nicht ich! Punkt!
Ich bin ein ordentlicher Mensch, deshalb liebe ich Beton und Rasen. Punkt!
Außerdem habe ich immer Recht und ich bin immer unschuldig.
Nun, er kann Efeu, Blauregen, Knöterich, Wein schneiden und pflegen. Das was ein professioneller, ambitionierter Gärtner macht. Sonneneinfall berechnen. Bodenstruktur. Blühzeit der Pflanzen, Blühfarbe. Dann den Garten so stylen, dass er wie ein kleiner Park wirkt, dass er den nächsten Generationen von Mensch, Tier und Pflanze Freude bringt. So wie das in den schicken Garten-Magazinen immer zu bewundern ist. Nicht platt abgesägte, hässlich weiße Baumstümpfe, sondern wildwachsende Äste für hüpfende und singende Vögel. Wie vermisse ich sie jetzt in unserem Totengarten!
Manche sehen auch den Unterschied in Gartenkultur nicht, nicht bei sich.
Er/sie strotzt mit Halbwissen und Brachialgewalt. Er/sie reißt uralten Blauregen und Efeu mit Genugtuung radikal ab. Lieber kahles, altes Gemäuer. Das nennt sich Stil. Kultur. Schönheit. STRUKTUR! Hauptsache unnatürlich, natürlich!
... werden auch alle Bäume und Büsche abgeholzt. Schaut hier,
wunderschöne Baumstümpfe, hell und weiß und gesund. Alle auf Friedhofsgröße, sorry Gräbergröße meinte ich. Warum sollten auch diese fiesen Dreckspatzen und Schmutzfinken von Ast zu Ast fliegen oder hüpfen oder brüten oder gar zwitschern. Pfui! Wie herrlich dagegen doch die Kultur der Rasenmäher. Laut, auffällig, jeder hört und sieht, wie sauber unser Garten ist!
Das ist die Moderne.
Pardon. Moderne Sicht auf Sportplätze, Schulen, Strafanstalten, Wohnblöcke, Diktaturen.
Ja, ihr Banausen, ihr Anarchisten, Ihr Öko-Faschisten!
In erster Linie ein Modewort.
Wenn ich es kurz zusammenfasse, klingt es arrogant und wird garantiert falsch verstanden. Wenn ich es lang erläutere, sitze ich Wochen daran und fülle ein Buch, das mindestens so kontrovers ausgelegt wird. Besser, liebe/r Leser/in, Du denkst Dir deinen/meinen Teil.
Nun ... nennen wir es STRUKTUR.
STRUKTUR in dieses vermaledeite Biotop! Weg mit dem Grün. Weg mit den Büschen. Weg mit Efeu und Getier. Freie Sicht auf Wagen, Laster, Briefkästen, Mülltonnen.
Freie Sicht in den Himmel, oh Götter!
... sinnlos herausreißen, sinnlos absägen. Schöne weiße Stümpfe überall.
Alles auf zivilisierte Friedhofsgröße, Pardon Gräber-Größe.
Wir tauschen Grün gegen das Ambiente grünen Betonsaales, Pardon Rasens. Unser Rasen soll wie ein grüner Teppich wirken. Je häufiger man mäht, desto weniger Wilkräuter wachsen. Bloß weg mit den blühenden Blumen da. Her mit Osterglocken und Stiefmütterchen, mit uniformen Konformblumen, je kleiner, desto besser.
Bloß weg mit dem Vogelgesang, mit diesem fiesen Gezwitscher. Mach doch mal den Laster an, damit´s nicht so ruhig ist.
Gezwitscher ... twitter ... twitter ... fort twitter, fort du Vogel. Komm her, Struktur-X, mach die Grünheide fertig, betoniere sie einfach zu. Meine E-Autos sind perfekt umweltfreundlich. Yep!
... aber bei allem anderen ringsum schaue ich kategorisch weg. STRUKTUR eben.
Ein Haufen totes Geäst. Totes Efeu wie Müll. Grün ist Müll. Damit müssen wir uns abfinden. Egal wie es anders propagiert wird. Das sind ja nur die Öko-Faschisten, die diese Lügen verbreiten. Das sind Romantiker. Und was diese neumodischen Wissenschaftler erzählen mit Atemluft und Klima ... alles Lügen ... Übertreibungen!
NO POINT OF RETURN gibt es nicht.
Rasen ist doch grün. Wirkt nicht wie Beton, nein. Ist schön heimelig. Dass mir da ja kein Löwenzahn wächst!
Das hat sich alles immer regeneriert und damit abgefunden, dieses Viehzeug und dieses Unkraut. Das kommt immer wieder. Und diese Atemluft, die gibt´s bald aus der Tube, klinisch sauber.
Wie absurd, dass diese Nachkriegsgeneration in der Schule Bäume pflanzte, als der Krieg all das Grün vernichtete. Im unseren neuen Krieg gegen die Bäume gibt es das nicht mehr, wie gut. Alles wird entlaubt. Klinisch sauber, klinisch schön. Freie Sicht für freie Menschen!
Wohnt und lebt man, um wegzuschauen?
Aber wir merkten, dass etwas fehlt. Da ist dieses leise Knistern von Insekten, von Vögeln, die im Efeu lebten. Das Klettern der kleinen Mäuse im Efeu, die mein Kater so gerne hinter dem Fenster jagte. Das Gefühl, dass das noch Leben war. Das werden im Sommer Nestlinge und Ästlinge sein, die wir nicht hören, weil sie vertrieben wurden, weil sie vielleicht hoch oben in den Eichen leben, wo wir sie nicht sehen.
Und die Makro-Fotos von Myriaden hübscher, zierlicher Insekten sind auch verloren. Ja, es fehlt was. Es fehlt das Leben, die Aktivität.
Ich schaue weg, weil es so hässlich geworden ist.
Aber wohnt man und lebt man, um wegzuschauen? Hier, dort, überall?
Macht doch mal die Musik lauter, damit wir feiern können, ist so ruhig hier.
Alles einsichtig wie auf einem Präsentierteller.
»Wir können ja mal eine Hecke pflanzen oder einen Zaun. Dann können sie hinter dem Zaun gemütlich sitzen.«
»Ja, danke.«
Ich liebe sterilen Knast. Ganz bestimmt. Ja, danke.
Aber sieht es in den Städten, in den Cafés, in den Passagen anders aus?
Der gläserne Mieter. Der gläserne Gast.
Damals vor sieben Jahren in Bremen-Burg, da hat´s eine alte Kastanie erwischt, der Stamm so dick, dass man ein Pferd darum hätte wickeln können, dazu eine Krone wie ein Baldachin. Stattdessen ein Parkplatz. Statt Pizzeria eine Shisha-Hütte. Und damit war das jahrhundertealte Dorfzentrum von Bremen-Burg kaputt.
Struktur wie auf dem Computer.
Aber die Erde ist kein Computer.
Uns hat´s hier vertrieben aus unserem Idyll. Wir können nicht schnell genug ausziehen. Das Drama nie wieder sehen müssen! Flieht auch, ihr orientierungslosen Vögel, Frösche, Insekten, ihr Getier. Aber ist es nicht, wie ich es in einem meiner Romane schrieb:
Wir werden so lange zurückgedrängt, bis wir auf einer kleinen Scholle stranden.
Auf dem Land, wo es keine Wege gibt. Bäume an Rändern von Agrarflächen abgeholzt, Wildwiesen abgemäht. Stören tun sie keinen, denn hier ist keiner.
Hier auf der Hauptstraße nach Barnstorf, bestes Beispiel.
1. Reihe von dicken Jahrhundert-Bäumen an der Straße weg.
Jetzt haben sie die 2 und 3. Reihe der Riesen-Eichen an der Straße abgeholzt.
Aber die Auspuffgase der Auto bleiben. Ja, die vielen Lungentoten. Woher kommen die? Warum werden das immer mehr. Ja, fragen wir doch mal die Wissenschaftler.
An der Straße nun zehn Meter frei bis zum nächsten Baum. Das gibt eine Wiese für einen Riesen-Stadt-Rasenmäher, Benzin gratis, Auspuffgase auch.
Nächstes Jahr stehen auch die Bäume an der 4. Reihe zu eng an der Straße.
Und übernächstes Jahr kommt ein Sturm und pustet die 5. Reihe weg.
Gehen Sie doch mal gedanklich durch die Städte und schauen, was passiert, wenn zweite, dritte oder vierte Reihen abgeholzt werden. Die restlichen Bäume können Sie zählen. Das ist unser neuer Wald. Schnell das Renaturierungsgesetz kippen, bevor er doch noch wächst.
Weg. Verstehe ich nicht. Das ist der Klimawandel. Aber sind unsere Lungen auch für diese klinische Sauberkeit gemacht oder fehlen ihnen die Heilpollen der Bäume? Mir fehlt was zum Schauen. Wem noch?
Meinem jungen Waldkater, der den Wald sucht, die Bäume, was zu schauen. Ich holte ihn aus der Großstadt hierhin, doch jetzt ist hier Großstadt. Versteht er das? Nein! Ich auch nicht.
***
©L.C./04.03.24/L. Cerón schreibt Abenteuer-Romane über Underdogs und Palastrevolutionen, stets mit einem Bezug zu Ökologie und Umweltschutz.