Die Moore schützen Wasser, Fauna, Flora, Klima. Warum schaffen wir sie trotzdem ab? Eine Reflexion und Hommage von mir: also von vierzig Jahren Wohnen in Moor und Feuchtgebiet.
Du da hinten. Gib ihm mal einen Namen. Dem Moor. Dem Wald da im Moor. Den Bauminseln und Grasinseln, die sich über dem Wasserspiegel recken. Dem kleinen Wasserlauf, der sich seinen Weg durchs Torf bahnt. Gib ihm mal einen Namen. Das weckt dein Gewissen. Falls du meinst, du kannst ihn einfach verdursten lassen oder in die Unterwelt verbannen.
Im Moor dort, da wohnen Myriaden hübscher, zierlicher Spinnen. Sie schwingen sich mit ihren Fäden in einen neuen Kosmos, sie fädeln ihre Netze in die Lüfte. Hauchdünne Existenzen. Sonnenbeschienen wie Traumgespinste. Von Regen benetzt wie untermeerische Phantasien. Im Winter vereist wie Königinnen des Schnees. Sie sind überall, wo du sie nicht erwartest. Zwischen den Ästen gleich im Dutzend. Wie ein kleines Firmament. Im Moor dürfen sie existieren, denn da kommt kein Staubwedel hin.
Das Moor ist verzaubert. Es ist eine Welt, die du von außen betrachtest wie eine Theaterbühne. Quellmoore, Hangmoore, Kesselmoore, Regenmoore. Wasser. Und. Boden. Das geheimnisvolle Wesen. Die Aura des Lebens. Schutz für Flora und Fauna. Biodiversität.
Wasser, das geheimnisvolle Wesen. Wenn du ein Glas Wasser ins Weltmeer gießt, so findest du es überall wieder. Du kannst seinen Weg durchs Erdinnere nicht verfolgen. Es flieht vor dir. Oder es bricht aus, dann wollen wir es zähmen. Lass ihm seinen Platz!
Mal fließt das Wasser zum Meer, mal sammelt es sich in Lachen, Teichen, Seen. Still ruht es da und wird eins mit dem Boden. Mal scheint die Sonne hindurch. Dann schwimmen ihre Strahlen im Wasser und zeigen dir winzige Kreaturen, die sich wie Luftalgen darin bewegen. Ja, gib ihm mal einen Namen, dem Wasser im Moor. Es ist ein eigener Kosmos.
Doch der Kosmos ist schwach. Nur fünf Prozent ist geblieben vom Moor und seiner Fauna und Flora. So wie: auf einmal gibt es nur noch vier Millionen Deutsche. Lassen wir unsere Moore verdursten und seine Geschöpfe nicht verhungern. Fünf von Hundert überleben. Wie stark sind die?
Ich sehe nur Flecken von Moor, kleiner als Seen, kaum länger als ein Steinwurf. Verkannt. Ausgegrenzt. Niemand will es haben. Das Moor alleine, umgeben von Feinden. Ein Feind sagt nein. Dann dauert es einen einzigen Tag, bis eine Planierraupe den Kosmos vernichtet. Dem sind die Spinnen egal, die Frösche, die Salamander, die Vögel in den Bäumen und die vielen Wildblumen. Die sehen die ja nicht, weil die genug zu tun haben mit ihrer neuen Struktur. Ja, gib ihm mal einen Namen, dem Moor und seinen Begleitern.
Gib ihm auch eine Stimme. Eine, die laut ruft. Sag denen da draußen, dass das Moor nicht nur eine schlammige Badewanne ist, die man ausschüttet. Wasser ist Leben. Moor ist Luft. Es ist für dich da, für uns, auch für die Kleinen, die mit den vielen Beinen, Flossen, Wurzeln.
Schau dir das Wasser an. Es kann dunkel sein, als wäre es so tief wie ein tiefer Brunnen, ewiglich. Oder es ist so hell, so unberührt, dass du darin Leben siehst, das älter ist als die Zeit. Gib ihm mal einen Namen und eine Seele, dem Moor.
Du da, du Mensch. Was hast du gegen Wasser, das Moor, das Leben im Moor. Auch du bestehst aus Wasser. Das Moor ist dein Bruder, deine Schwester. Gibt ihm einen Namen. Hol es zurück ins Leben, ins Bewusstsein. Gibt ihm einen Namen.
In Quechua, der alten Andensprache, gibt es das Wort Qhipakana. Es bedeutet etwa: Das was in der Zukunft sein muss. Vergiss diese allseits propagierte Struktur, die nur eine Ausrede ist für unsere Hilflosigkeit, unsere Suche, für Wirtschaftsdynastien. Wir brauchen das, was in der Zukunft sein muss. Boden, Wasser, Luft. Moor. Und wie schön das Moor ist. Unberührt. Ein Ort, wo Evolution lebt, wo sich das Leben neu erfindet. Gib ihm einen Namen, dem Moor. Dann sprichst du über ein Lebewesen und nicht über ein Ding.
ENDE
📅 22.12.2024. 🖋 Der Text befindet sich im © Copyright 2024 von A. J. Witteberg. Möchten Sie Auszüge oder die ganze Kurzgeschichte veröffentlichen, sprechen Sie mich bitte an.
Sie mögen Nature Writing? Dann lesen Sie doch mal Richard Fortey Life - A Natural History of the First Four Billion Years of Life on Earth.