Ihuita

Leseprobe

Ist der Sieg gegen die Brüder Santander endlich nahe? Kann sich die alte Mariañaca endlich juristisch rehabilitieren? Vorher stehen die Zeichen auf Sturm.

Was bisher geschah

Enttäuscht setzt sich Neal von seinen Menschenrechtsorganisationen ab und geht eigene Wege, um Gonzalo Santander zu stoppen. Alleine mit einem Bodyguard, Pilot und Cessna Stationair fliegt er durch Südamerika. Er heuert Schurken an, die einst auf der Seite von Gonzalo Santander standen, er kontaktiert mit dem Sohn eines Drogenbarons, den dieser ermorden ließ. Sie werden zu Partisanen und jagen das Drogenkartell.


I Die Gangster aus Brasilien

Kapitel 14: Feuerteufel

Belém, Brasilien

Neal, Faustino und Benedicto Alavara flogen bist Guatemala Stadt. Dort warteten sie auf die Ankunft des Flugzeuges aus Monterrey. Kaum, dass die Eltern von Benedicto Alavara gelandet waren, flogen sie gemeinsam im nächsten Flieger nach Brasilien weiter. In Macapá trennten sie sich. Faustino flog nach Mexiko zurück.

Benedicto Alavara und seine Eltern entsorgten noch in Macapá all ihre Kleidung und alles, was sie mitgenommen hatten aus Angst, das sie vielleicht heimliche Sender bei sich führten. Auch Neal entsorgte seine Kleidung, weil er fürchtete, dass ihm die Mariañaca einen GPS-Sender angehängt hatte. Schuhe weg. Tasche weg. Dann tauchte er ab.

Ab Macapá gab es keinen Xegua Quinatzin Chichitzeca mehr, und es gab auch keine Familie Alavara. Noch im Hotel schnitt sich Neal die drei Dreadlocks ab. Er hatte mit der Mariañaca, mit der Abusado abgeschlossen.

Ramón und ich schworen, die Dreadlocks abzuschneiden, wenn wir Emilio Santander besiegt hätten. Aber ich will nicht Emilio Santander besiegen, sondern Gonzalo Santander. Er ist der wahre Schurke, der mir meine Susana nahm. Hole du Felicidad zurück, mein Schwager Ramón. Und ich hole mir mein Leben zurück, das mir Gonzalo Santander gestohlen hat. Ich fühle mich nur noch mir selbst verpflichtet und nicht mehr dir und der Sache. ¡Basta Ya!

Gino schickte Felo, ihren neuen Piloten, nach Macapá und ließ sie mit einer kleinen Cessna abholen. Es war die gleiche 206 Stationair, die auch Rusty besaß, ein sogenannter Buschflieger. Von Macapá aus flogen sie in die gigantische Industrie- und Handelsstadt Belém.

Dort wurde die Familie Alavara mit neuen Papieren ausgestattet und flog in ihre neue Heimat Spanien. Die Abfindung Neals reichte, damit sie sicher waren. Er hatte mit James Wolahan gesprochen und sich von einer seiner unwichtigen Investitionen getrennt, um finanziell den Rücken frei zu haben. Jetzt begann ein neues Kapitel.

Neal saß mit Gino und Sergio in einem der üblichen Büros und trank Cachaça. Sein Gesicht zeugte von schwelendem Unmut, denn der Streit mit der Mariañaca und der Abusado hing ihm noch nach.

»Sie wollen in ihren Organisationen arbeiten. Ich nicht! Für mich gibt es nur oben oder unten. Sie wollen mich nicht oben und unten will ich nicht sein. Als ob ich mich kontrollieren ließe«, sagte Neal.

Sergio lächelte.

»Es klingt nach dir – und nach uns«, sagte er.

Sie erzählten von César. Er hatte sich mit ihnen in Verbindung gesetzt, um sie mit der Entscheidung der Cachana zu konfrontieren. Die Cachana hatte ihnen gedroht, in Kolumbien ruhig zu bleiben, Frieden zu wahren. Doch sie hatten den Kontakt zu César abgebrochen und waren von Belo Horizonte im Süden nach Belém im Norden von Brasilien geflüchtet.

»Wir haben mit diesen Organisationen nichts zu tun«, verkündete Gino im gleichen Atemzug. »Wir werden ihnen keine Rechenschaft ablegen. Nicht ihnen und niemand anderen. Sie haben uns Bucaramanga genommen. Sie hätten auch mit uns reden können, aber offensichtlich halten sie uns für Schurken, mit denen man nicht reden muss. Sie haben die Gefahr heraufbeschworen, nicht wir. Sie sind arrogant, nicht wir. César, Corsino und Plutarco sind bei ihnen? Sollen sie alle bleiben wo sie sind.«

»Willkommen in unserem Team. Du denkst als einziger wie wir«, ergänzte Sergio.

Neal wollte auch mit Gino und Sergio zusammenarbeiten. Sie brauchten ihn, und er brauchte sie.

Niemand wusste, wo sie sich nun aufhielten. Neal hatte den beiden unzertrennlichen Schurken eine Mail gegeben. Anschließend hatten sie neue Mailkonten angelegt und auch ihre Handynummern gewechselt. Sie waren unauffindbar und sie wollten unauffindbar sein. Und Neal auch. In Belém waren sie sicher. So hoch im Norden suchte sie keiner,wo sie meist im Süden gelebt hatten. So hoch im Norden hatten sie genug Transportaufträge, wenn sie welche gewollt hätten. Doch sie wollten nicht.

Sie hatten sich weit außerhalb auf einem alten Firmengelände einquartiert. Es verfügte über lange, gerade Zufahrtsstraße, die sie als Landebahn benutzten. Gino und Sergio hatten neue Teammitglieder angeworben. Jânio und Júlio waren zwei Ex-Profis eines Sondereinsatzkommando, Bodyguards, Brasilianer, verdient, zuverlässig. Luiz und Juscelino: zwei Mechaniker. Felo: der Pilot. Getúlio, ein Geschäftsmann, regelte ihre brasilianischen Angelegenheiten.

Geld hatten sie. Nicht viel, aber es reichte. Und Neal hatte einen Plan ausgearbeitet. Einen, den er Oliver gegenüber keine drei Wochen zuvor noch als von zu gefährlich von sich gewiesen hatte. Jetzt sah er sich genötigt, diesen Weg zu gehen und wollte ihn auch gehen. Mit Gino und Sergio. Seine Kinder waren in einem europäischen Internat und Luisina ...

»Was soll ich reden. Sie will als Universitätsprofessorin arbeiten", erzählte er. »Dann müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt zueinander finden. Der Kampf gegen das Delwaro, gegen Gonzalo, wird hoffentlich nicht ewig währen. Ich will den Weg gehen. Ich will den Kampf gewinnen. Wenn nicht mit der Mariañaca, dann alleine. Ihre Entscheidung, meine Entscheidung.«

Sie ließen es in Belém ruhig angehen. Die Reparatur der Maschinen, die Instandsetzung der Waffen. Spaziergänge, Planung. Vom ursprünglichen Team waren nur Enrique, Irineo, Lucio, Leonardo, Ladislao und Jesaia übrig geblieben. Dazu kamen Cleto, Iago und Mateo, die sie in Bucaramanga angeheuert hatten. Zusammen mit den drei Brasilianern war ihr Team zwölf Personen stark. Und Gino. Sergio. Neal. Úronro, der Hund. Er war immer dabei.

»Reicht«, fand Sergio. »Wir brauchen nicht mehr. Sind wir eine kleine Gruppe. Also schleichen wir!«

Als ihre Planungen abgeschlossen waren, wandte sich Neal an sie.

»Es geht los. Ich nehme Jânio mit und breche morgen auf. Felo soll mich fliegen.«

»Du und einer?«, fragte Sergio kritisch.

»Mein Zorn ist eine Hundertschaft. Mit Jânio sind wir zweihundert.«

Neal, Jânio, der Bodyguard. Felo, der Pilot. Er kannte beide kaum und verstand sie sprachlich nicht immer. Wahrscheinlich war das das Magische an der Konstellation.

***

Am nächsten Tag brach Neal mit beiden Männern auf. Rucksack. Waffe. Laptop. Handy. Eine Tasche voller Dollars. Er war allein. Er war das erste Mal in all den vielen vergangenen Jahren wieder allein. Es war auch das erste Mal in all den vielen Jahren, dass er wieder eigene Entscheidungen traf, ohne Rücksichten auf seine Familie, auf das Kollektiv der Bürgerrechtsbewegungen, auf irgendwen. Das letzte Mal war dies geschehen?

Er erinnerte sich zurück: Sololá am Lake Atitlán in Guatemala. Die Flucht aus Peru. Die Tauben ... Seine Gedanken: ›Ich werde mein passives Leben auf der Straße gegen eines eintauschen, in dem ich aktiv gesellschaftliche Missstände bekämpfe. Ich werde kein namensloses stilles Gesicht in dieser Gesellschaft sein und mich anpassen; ich werde meinen eigenen Kosmos schaffen, in dem ich ungestört leben kann und in dem ich Tieren und Menschen, die sich mir anschließen, ebenfalls die Möglichkeit biete friedlich und gerecht leben zu können ...‹

Neal sah Susana vor seinem geistigen Auge. Felicidad. Die Heirat. Ihre langjährige Ehe. Dann die Schlucht mit dem Jeep, mit dem Pferdetransporter ... Jaquenetta ... Susana ... all seine Träume, all sein Lebensinhalt — ausgelöscht. Wegen einem Mann und einem Befehl. Tod diesem Befehl. Tod diesem Mann. Tod für Gonzalo Santander.

Neal drehte sich in der Hängematte um. Sie hatten sie draußen aufgehängt, weil es drinnen zu stickig und feucht zum Schlafen war. Recht und Unrecht? Bin ich nun der kriminelle Schuft, zu dem mich meine Freunde wieder abgestempelt haben? Er nickte zu sich. Ja! Sollen sie denken, ich wäre der Schuft.

Was soll es? Sie können mir mein Leben nicht zurückgeben. Ich wollte für sie kämpfen, für die Sache kämpfen. Vorbei. Kämpfe ich für mich. Nur für mich. Für meine Kinder, für meine Zukunft. Für meine Rache! Danach fange ich wieder an zu leben und vorher lebt nur meine Rache. Und sie hat ein Recht darauf auch einmal zu leben und die Vernunft zu verbannen.

Er dachte an seinen Plan. Gino und Sergio hatten ihn schweigend arrangiert. Unüberzeugt. Besorgt.

»Es ist deine Entscheidung, Neal«, hatte Sergio sorgenvoll verkündet.

»Wenn du nicht zurückkommst, veranstalten wir ein Inferno«, hatte Gino gesagt. »Vielleicht tröstet dich die Vorstellung daran.«

Neal hatte nur gelächelt.

Jetzt lächelte er auch für sich. Der Plan, den ich habe ... er ist mehr als riskant ... schauen wir, ob ich ihn durchsetzen kann. Was habe ich immer gesagt? Wenn es richtig gefährlich ist, hole ich mir Plutarco um sicher zu sein. Falsch! Wenn es ultimativ gefährlich ist, gehe ich alleine. Sieg oder Niederlage. Entweder überlebe ich meinen Plan oder mein Plan überlebt mich. Dann habe ich Pech gehabt. Dann haben die Kinder wenigstens Luisina. Eine bessere Mutter können sie nicht haben. Ich muss es wagen, denn es ist der einzige Weg. Schach dem schwarzen König.

»¡Is bar béyinro! Técuati jaŵi.«1

***

Prado, Bahia, Brasilien

Auf der Suche nach Valentín Abel Castro vom Drogenkartell Boreco, emerittiert.

Ginos Spione hatten Castro in Prado ausfindig gemacht. Er betrieb dort einen winzigen, schmuddeligen Krämerladen, eher einen Verschlag und verkaufte staubige Utensilien, die keiner brauchte. Es war ein Laden, der selbst hier, an der unschönen Strandseite keine Existenzberechtigung hatte und offensichtlich nur von dem Verkauf von Getränken lebte. Die stapelten sich in einem alten, brummenden Kühlschrank, der sich gegen die Wand lehnte.

Neal betrat forsch den Laden.

»Señor Castro! Ihr Leichtsinn wundert mich, denn es war sehr einfach, sie zu finden«, sagte er ebenso forsch.

Valentín Abel Castro mochte über fünfzig sein. Er war grauhaarig, braungebrannt und trug ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck Prado und einem markigen brasilianischem Spruch, der sicherlich nicht ganz stubenrein war. Als er den Namen Castro hörte, zuckte er sichtlich zusammen, denn er lebte hier seit Jahren unter einer falschen Identität. War Neal ein bezahlter Killer?

Auch Neal kannte Castro nicht. Doch nur ein Blick in dessen Augen machte ihm klar, dass er den richtigen gefunden hatte. Einen emerittierten Gangster des Drogenkartells Boreco. Schuld an tausend Morden.

»Schließen sie die Tür ab. Ich möchte mit ihnen sprechen«, befahl er.

Er machte Jânio nur ein kurzes Zeichen. Sein Begleiter stellte sich vor die Tür, bereit, niemanden hineinzulassen. Er selbst öffnete seine Reisetasche, zeigte sein Bargeld und sein Waffe.

Valentín Abel Castro verstand. Er war Jahre mit solchen und ähnlichen Situationen konfrontiert gewesen.

»Reden wir«, bestätigte er leise.

Gelangweilt öffnete er eine Schublade, holte einen Schlüssel heraus und warf diesen Jânio ebenso gelangweilt zu.

»Drehen sie das Schild um, damit die Kunden wissen, dass ich Pause mache. Sonst rütteln sie mir die Tür kaputt.«

Dann gingen sie ins Hinterzimmer.

Valentín Abel Castro schaute lauernd. Neal auch.

»Ich möchte über Fundación, Kolumbien reden«, verkürzte Neal die Einleitung. »Fredy Roldán und Bernardo Guzmán, die Cachana und Gonzalo Ramiro Santander. Sagen sie mir etwas zu Santander. Alles, was sie wissen. Sie erhalten von mir zwanzigtausend Dollar cash und die Zusicherung, ungeschoren nach Kolumbien zurückkehren zu können. Was können sie arrangieren und was wollen sie arrangieren? Oder wollen sie hier in diesem Drecksloch bleiben?«

Valentín Abel Castro nickte nur und stellte mit einer Handbewegung eine Flasche weißen Rum auf den winzigen Holztisch. Dann fasste er mit zwei Fingern zwei kleine Gläser und stellte sie dazu, warf die Zeitungen nichtsachtend auf den Boden und schüttete die Gläser voll, nach seinen Zigaretten greifend.

»Ich rede. Alles, was sie hören wollen. Die Brasilianer hier mochten mich noch nie. Aber ich habe kein Geld, um aus diesem Drecksloch herauszukommen."

***

Cravo Norte, Arauca, Kolumbien

Auf der Suche nach Bartolo Bonilla vom Drogenkartell Boreco, emerittiert.

Ginos Spione hatten ihn in Cravo Norte ausfindig gemacht. Er führte dort eine Kfz-Werkstatt mit einer Bühne in einem Holzschuppen, der kaum größer als ein Schuhkarton war. Ein Uralt-Toyoto war hochgebockt.

Neal traf einen jungen Mann um die dreißig. Dunkelbraun. Kurze Haare. Die Hände und die Arme bis zu den Ellenbogen voll Öl. Es war heiß draußen. Er trug kein T-Shirt sondern nur eine kurze Hose aus grauem Baumwollstoff. Flip-Flops. Er sah nicht aus, als hätte er das Geld für Schuhe.

»Wenn sie meine zwanzigtausend Dollar Bestechungsgeld annehmen, müssen sie keine Autos reparieren, um ihre Frau und ihre zwei Kinder zu unterhalten, während sie sich vor der Mafia verstecken«, sagte er provokativ.

Bartolo Bonillo wirkte, als wolle er ihn wegrempeln, doch mit einem Blick auf Neal und Jânio ließ er es.

Stattdessen giftete er: »Was wollen sie? Kluge Reden schwingen kann ich auch.«

»Ihre Hilfe. Informationen. Verschwiegenheit. Und wenn sie wollen, werde ich ihnen einen Kontakt vermitteln, damit sie Geld verdienen können«, antwortete Neal.

»Ich verdiene hier auch Geld ohne zu plaudern wie ein Kaffeetante«, konterte der Mann aggressiv.

Neal schaute unberührt. Es war der Neal, der mehr als drei Jahre in Gefängnissen und viele Jahre auf der Straße gelebt hatte. Es war der Neal, der keine Angst vor solchen Leuten und solchen Situationen hatte.

Der Kunde kam, um sich den Toyota abzuholen, doch der Wagen war noch nicht fertig.

»Keine Ahnung, warum diese sch... Karre nicht läuft«, schnaubte Bartolo Bonilla ungehalten. »Kauf’ dir ’ ne neue Kiste, wenn du fahren willst.«

Sie stritten.

Neal zog sein Hemd aus und legte es auf das Autodach. Dann nahm er den Schraubenschlüssel und schraubte hier und da. Bartolos Blick fiel auf die Tätowierungen. Er fand, dass der Fremde im schwarzen Shirt und mit den Tätowierungen dynamisch und stark wirkte. Außerdem hatte Neal mit wenigen Handgriffen den Vergaser repariert. Beider Blicke trafen sich.

»Starte mal«, befahl Neal dem Kunden.

Der Wagen lief fast. Er schraubte weiter.

»Starte noch mal«, befahl er.

Jetzt fuhr der Wagen.

Neal zog sein Hemd wieder an.

»Wer bist du?« fragte Bartolo Bonilla, als der Kunde weggefahren war.

»Ich bin der, dessen Frau Gonzalo Santander umgebracht hat. Willst du mit mir zusammenarbeiten?«

»Du bist Cachana!«, sagte Bartolo Bonilla vorwurfsvoll.

»Ich bin gar nichts«, konterte Neal hart.

»Komm mit rein. Nina soll uns einen Kaffee kochen. Hast du Angst vor Kindergeschrei? Meine kleine, die brüllt ohne Ende.«

Neal schaute unbewegt.

»Was meinst du, wie viele Kinder ich habe schreien gesehen«, sagte er zweideutig, hasserfüllt.

***

Azogues, Canar, Ecuador

Auf der Suche nach Manuel Álvarez vom Drogenkartell Boreco, emerittiert.

Ginos Spione hatten Álvarez in Azogues ausfindig gemacht. Soeben lud er Berge von Gemüsekartons von einem Holzschuppen in einen alten Laster und schien alles andere als motiviert.

Neal beobachtete ihn. Manuel Álvarez! Die Boreco hatte ihn vergessen, nachdem sie ihn abgeschoben hatten. Sie glaubten wohl, er wäre erledigt. Aber ich habe ihn nicht abgeschoben. Er wird meine Marionette. Und wenn nicht, wird er mir die Auskünfte geben, die ich brauche! Mit dem Gedanken wandte er sich an ihn.

»Gonzalo Santander mag sie vergessen haben, señor Álvarez, aber ich nicht«, sagte er.

Manuel Álvarez wirbelte herum. Seine Baumwollhose saß locker und schlabberte ihm um seine dünnen Beine; sein hageres Gesicht war aggressiv und destruktiv zugleich.

»Typ, hey!«, blaffter er aggressiv, »sprich weiter und ich werfe die nächsten Kartons auf dich.«

»Ich war nicht schlecht im Baseball«, konterte Neal ungerührt.

Einen Moment wirkte Álvarez, als wolle er auf Neal losgehen. Jânio erschien hinter ihm. Neal hatte ihn instruiert. Álvarez hatte den Befehl zur Liquidierung von Menschen gegeben und Überfälle organisiert, die Menschenleben gekostet hatten. Er war gefährlich.

»Du gibst mir die Auskünfte, die ich haben will. Als Gegenleistung verpetze ich den Bullen nicht deinen Aufenthaltsort«, sagte Neal ungerührt. »Als besondere Gegenleistung gewähre ich dir ein Präsent von zwanzigtausend Dollar.«

»Wofür? Wenn du jemanden umbringen willst, hast du deinen Mörder doch schon hinter dir stehen«, konterte Manuel Álvarez hart. »Siehst selbst auch aus wie einer.«

Schwungvoll lud er zwei weitere Kartons auf den Laster.

Neal zuckte mit den Schultern. Er überlegte, ob dieser Mann diese vielen Menschen selbst erschossen hatte. Er war sich sicher, er hatte. Wenn nicht alle, so dann doch einige. Das stand in seinen Augen geschrieben, das war in sein Gesicht gemeißelt.

»Ich will Gonzalo Santander vernichten«, antwortete Neal ungerührt. »Hilfst du mir, werde ich dich nicht an die Fahndung verraten. Verrätst du mich an Gonzalo, bist du tot. Du kannst mir etwas erzählen und dann bekommst du Geld dafür und ich gehe wieder. Du kannst auch mit mir zusammen arbeiten und bekommst Geld. Nach der Zusammenarbeit wirst du dich zurückziehen und nicht im Entferntesten ein Interesse haben, für ein Mafiakartell zu arbeiten. Können wir das als Diskussionsbasis nehmen?«

Ein Hund kam in die Nähe und schnüffelte an den Säcken.

»Pack dich, Köter«, fauchte Álvarez und versuchte nach ihm zu treten.

»Wenn du noch einmal nach dem Hund trittst, erschießt dich Jânio gleich«, bemerkte Neal ungerührt.

»Was bist du denn für ein Typ?«, fragte Manuel Álvarez unwirsch und irritiert zugleich.

»Ich bin der, der nichts zu verlieren hat. Ich bin der, der dir wegen jeder Lüge einen drüber haut. Ich bin das Gesetz der Straße, also höre besser auf mich.«

***

Juticalpa, Olancho, Honduras

Auf der Suche nach Aristeo Silva vom Drogenkartell Delwaro, emerittiert.

Ginos Spione hatten Silva in Juticalpa aufgespürt. Er lebte in einer Holzhütte, die ein Haus sein wollte und keins war, am Rande einer schmutzigen Siedlung. Ein ausgetrampelter Fußweg führte durchs Gestrüpp zum Haus. Ein Rad vor der Tür. Hühner. Ein paar Bananenstauden. Eine indigene Frau kochte draußen. Es war eine der Hütten, wo es nur ein Draußen gab, weil das Drinnen nur aus Matratzen zum Schlafen bestand. Platz noch für einen Koffer mit Kleidung oder ein Schränkchen. Drei kleine, schmutzige Kinder umringten die Frau. Hier hatte die Moderne noch keinen Einzug gefunden und würde ihn nie finden, weil es an Geld fehlte.

Ein Mann lag etwas abseits in einer Hängematte und las Zeitung. Gelangweiltes Gesicht. Bohrende Blicke zu den Gästen. Er grüßte nicht einmal.

»Das Schicksal von denen, die für das Kartell arbeiten ist meist der Untergang«, sagte Neal kalt. »Fällt man in Ungnade, so lebt man so wie du, Aristeo Silva. Man muss sich verstecken und ist arm wie eine Kirchenmaus.«

Neal schaute bohrend und baute sich vor ihm auf. Der Mann blickte gelangweilt zurück, zog seine Waffe aus seinem Hosenbund und entsicherte sie.

»Verschwinde!«, fauchte er mit eisiger Stimme.

Jânio zog seine Waffe nicht aus dem Hosenbund, so sicher war er sich, dass dieser Mann bluffte. Er hatte Recht.

»Wie viel Geld und Zeit brauchst du, um mir ein Team zusammen zu stellen. Und wenn nicht: Wie viel Geld willst du, damit ich von dir das erfahre, was ich hören möchte und wieder gehe, ohne dass du mich hasst«, konterte Neal ungerührt der Waffe.

Er musterte den Mann. Ein unangenehmer Kerl. Jeans, schmutzige Füße und barfuss, kurze Haare. Kleine Bartstoppeln. Dunkle Augen in einem Schurkengesicht. Schmale Lippen. Ein Mann der hier, weitab der Zivilisation, gut aufgehoben war. Vielleicht sogar ein guter Familienvater, wenn man ihn gut bekochte. Ein Mann, den er brauchte. Es stand nicht mehr zur Disposition nette Teams zusammenzustellen. Es galt nur, Gonzalo Santanders Drogenimperium zu stürzten.

»Du bist mutig. Aber du wirst nicht siegen«, verkündete Aristeo Silva.

»Und ich werde doch siegen«, entgegnete Neal eisig. »Schau mich an und du weißt, dass ich siegen werde.«

»Ich bleibe hier, denn ich werde nie wieder auf der mexikanischen Bühne erscheinen. Aber ich sage dir, wen du wo treffen kannst. Gib mir tausend Dollar und ich nenne dir seinen Namen und gibt mir weitere tausend und ich sage dir, wo du ihn findest. Du wirst ihn bezahlen und er wird mir aus Dankbarkeit ein wenig Geld überweisen. Mehr gibt es nicht zwischen uns.«

***

Colón, Panama

Auf der Suche nach Diego Francisco Valdovinos vom Drogenkartell Péncamas, emerittiert.

Ginos Spione hatten Valdovinos in Colón ausgespäht. Er lebte am Kanal. Sie trafen ihn mit fünf weiteren Männern, die am Hafen lungerten, irgendwo zwischen vielen, kleinen Booten, die kaum seetüchtig schienen. Es war ein Slum, Industrieslum; es war dort wo alle waren, die Arbeit suchten und keine bekamen.

Neal unterbreitte Diego Francisco Valdovinos ein Angebot. Valdovinos zögerte nicht.

»Ich bin dein Mann«, sagte er. »Mein Team ist fünf Mann stark, doch ich kann innerhalb von Stunden fünfzig Mann finden. Hier. In Kolumbien. In Venezuela. In Ecuador. In Mexiko. Überall! Am liebsten in Venezuela und Kolumbien. Wo willst du mich haben und wann?«

Diego Francisco Valdovinos war keiner, der einen Mob zusammenstellen konnte. Diego Francisco Valdovinos war der Mann der Intrigen, der Mann der Recherche, einer, der überall und nirgendwo seine Ohren aufsperrte und der über Gonzalo Santander ganze Bände zu erzählen wusste.

»Gonzalo, dieser Schuft ... er hat mich mit Schimpf und Schande aus dem Team herausgeworfen, einfach so, weil er glaubte einen besseren als mich zu haben. Und wie ich Rache schwor.«

»Und du wirst deine Rache nicht über unsere Aufgabe stellen«, mahnte Neal.

»Ich bin Profi«, antwortete Valdovinos. »Und ich arbeite nur für Profis. Du bist mein Boss und sagst mir, was ich tun soll.«

***

La Guaira, Küste vor Caracas, Venezuela

»Du wirst diesmal auf mich in der Stadt warten«, befahl Neal seinem Begleiter Jânio. »Das, was ich hier zu tun habe ist nur mein Job. Ich bin dann zurück, wenn ich zurück bin.«

»Klingt nicht so, als wärst du sicher, zurückzukommen.«

»In der Höhle des Löwen kann Sturm herrschen.«

Jânio nickte schweigend. Er musterte Neal aufmerksam. Tage hatte er ihn durch die Höhlen des Untergrunds begleitet. Doch jetzt trug Neal einen teuren schwarzen Anzug mit einem blütenweißen Hemd. Es stand ihm, fand er bewundernd. Gerne hätte er ihn auch jetzt begleitet, doch Neal lehnte es ab.

Neal fuhr mit dem Taxi vor das Firmengebäude der Paetina S.L. und betrat den pompösen Eingangsbereich. Steinfliesen. Theke. Zwei hübsche Empfangssekretärinnen. Blumen. Computer. Lange Flure hinter denen betriebsame Geschäftigkeit herrschte. Es war dankbar modern nach den letzten Reisen in der Unterwelt der Kartelle. Jetzt und hier war wieder alles anders. Hier gab es nur Sonnenschein und Erfolg.

»Mein Name ist Xegua Quinatzin Chichitzeca«, meldete er sich bei der Sekretärin an. »Ich möchte gerne mit Renato Drago Gavino Emerico Bernal sprechen.«

»Haben sie einen Termin?«, flötete die Empfangsdame.

»Nein, aber señor Bernal wird ausreichend Zeit für mich erübrigen.«

Die Sekretärin gab den Namen durch. Eine Sekunde.

»Kommen sie doch bitte mit«, flötete sie höflich.

Sie geleitete Neal zum Lift auf die oberste Etage. Von dort ging es durch eine Codegesicherte Panzerglastür in den hinteren Bereich. Die Tür zu einem großen Büro öffnete sich, noch bevor sie diese erreicht hatten. Renato Drago Gavino Emerico Bernal empfing Neal persönlich. Er schaute ihm bohrend in die Augen und reichte ihm die Hand. Dann machte er eine wohlgefällige Handbewegung in Richtung zu seinem Büro, während sich die Empfangssekretärin entfernte.

»Señor Chichitzeca. Darf ich sie mit señor Tamalos bekannt machen? Er wird von mir bezahlt, um mir unliebsame Elemente jederzeit vom Leib zu halten.«

Neal schaute ungerührt zu dem Leibwächter, der auf einem Sessel in der Nähe saß, nickte ihm kalt zu. Dann folgte er Bernals einladendem Handwink in eine gemütliche Couchecke. Er setzte sich und holte einen USB-Stick aus einem Blazer. Mit einem Klack legte er ihn auf die Glasplatte des Tisches.

»Ich dachte, wir diskutieren«, meinte er nur kurz.

»Und ich dachte, ich nehme mir den Stick und wir schauen, ob die Krokodile sie mögen.«

Renato Drago Gavino Emerico Bernal lächelte nur über diese Floskel und Neal lächelte zurück.

»Zweifelsfrei ein guter Plan. Gleichwohl würde ich überdenken, ob dieser schöne Firmenkomplex dann der Nachwelt erhalten bleibt oder in ein Inferno verwandelt wird«, konterte auch er mit einer Standardfloskel.

»Wie kommen sie auf die Idee, dass ich Gesprächsbedarf haben könnte?«

»Haben sie nicht? Ich dachte, Gonzalo Santanders Schmuddelattacke hätte einen Ehrenmann wie sie gekränkt? Ich stellte mir das zumindest so vor. Gerade nach den Querelen zuvor und danach.«

Renato Bernal schaute nur, dann wurde sein Blick eisig.

Er zischte wütend: »Durch den Angriff von Awqapurej K´anchaypa und Don Justino Lucio wurde unsere Fabrik in Bariñas vernichtet und mein Vater getötet. Sie sind persönlich bestens bekannt mit diesen Mördern, vielleicht waren sie sogar involviert. Warum sollte ich sie schonen?«

»Ich war aber nicht involviert.«

»Aber sie sind der Chefideologe der Organisationen, die uns ärgerten.«

Neal zuckte nur mit den Schultern.

»Sprechen wir nun von der Vergangenheit oder der Zukunft? Ich schaue gerne voraus. Sie auch? Ich liefere ihnen hiermit Informationen und Personen, mit deren Hilfe sie sich in ganz Südamerika eine Monopolstellung wider Gonzalo Santander erarbeiten können.«

»Sie wollen mit mir zusammenarbeiten«, erkundigte sich Bernal.

»Nein. Sie tun ihren Job und ich meinen. Vielleicht arbeite ich mit meinen Organisationen zusammen, vielleicht auch nicht. Wenn sie sich für einige Zeit aus dem Geschäft mit der weißen Ware heraushalten, werden wir uns sicherlich nicht in die Quere kommen. Vielleicht haben sie genug zu tun, ihr Familienunternehmen zu restrukturieren? Was sie danach machen, ist ihre Entscheidung und ich weiß von nichts.«

»Sie wollen Gonzalo Santander vernichten?«

»Ja.«

»Das gefällt mir. Egal wer sie sind, aber ich helfe ihnen.«

Renato Drago Gavino Emerico Bernal griff zum Handy.

»Señora Beatriz! Ich möchte mit meinem Gast speisen. Lassen sie das ›Playa de Oro‹ räumen, denn wir möchten ungestört sein. Meine Limousine soll jetzt bitte vorfahren. Ich möchte, dass wir nicht gesehen werden, also lassen sie auch den Zufahrtsweg absperren.«

***

Belém

»Halten wir fest«, wandte sich Neal an Gino und Sergio. »Bernal gibt uns genügend Geld, damit wir in den kommenden Wochen nichts anderes tun, als die Dependancen von Gonzalo Santander zu vernichten. Vernichten heißt: Entweder an Fahndung und Militär verraten oder aufmischen. Wir werden das ganze abwechselnd arrangieren. Wir verkaufen keine Drogen, sondern wir fackeln all die Lagerbestände ab. Álvarez nennt uns die Standorte und besticht die Wachen, damit wir keine Probleme haben. Dafür erhält er zweihunderttausend Dollar und eine saubere Identität und kann Kolumbien verlassen. Wir haben innerhalb von vier bis sechs Wochen sämtliche Dependancen der früheren Boreco, die sich Gonzalo Santander aneignete, auf diese Art vernichtet. Damit verliert er wieder an gewonnener Stärke. Unsere Jungs erhalten diesmal einhunderttausend Dollar pro Kopf. Wir fünfhunderttausend sowie einen Bonus von drei Millionen nach Abschluss. Mit dem Geld können wir alle aussteigen. Danach soll Bernal machen, was er will. Ich habe das Geld bar mit. Die drei Millionen liegen bereits in einem Schließfach. Die anderen Jungs werden von allen Seiten am Thron von Gonzalo Santander rütteln. Langsam aber stetig wird das Holz mürbe werden und wenn nicht, setzen wir ein paar Holzwürmer hinein und blasen kräftig.«

Neal saß in der Hängematte im Hof, denn noch immer waren die Innenräume zu stickig, um sich dauerhaft darin aufhalten zu können. Er hatte eine kurze Hose an, denn er kam gerade vom Baden zurück und seine Haare waren gerade erst getrocknet. In der einen Hand eine Maisteigtasche, die mit Gemüse gefüllt war und neben sich ein kaltes Bier.

»Ich muss mich erst einmal daran gewöhnen, dass du keine Dreadlocks trägst«, sagte Sergio. »Nicht, dass diese Dinger seriös waren, aber jetzt siehst du aus wie ein Schurke. Jânio sagte, du bist mit ihm quer durch die Hölle von ganz Südamerika und wieder zurück? Er sagte, die Jungs, die du aufgesucht hast, waren härter als hart. Und dass du dich benommen hast wie ein Killer. Du hast alle Schurken um dich gesammelt, und du hast sie tanzen lassen wie einen Tanzbär. Wie viele? Zehn, fünfzehn? Dazu Bernal!«

Neal nippte lachend am Bier.

»Das ist meine Spezialität. Einmal durch die Hölle und wieder zurück. Hätten diese Halunken mich sonst ernst genommen oder respektiert? Nein! Also!«

»Warum macht Bernal das überhaupt? Seine Conicál ist auch nur ein Drogenkartell. Eigentlich müssten wir ihn auch vernichten.«

Neal biss herzhaft in die Maisteigtasche.

»Peng! Werden wir Feuerteufel. Der Rest ist uns egal. Wir machen den Job, kassieren. Und die Rechtsverdreher der Abusado sollen Gonzalo juristisch hinterher und den Rest erledigen. Ich will keinen von allen je wieder sehen.«

Sergio schnalzte nur mit der Zunge und streichelte Úronro, dann öffnete er mit einem Klack sein eigenes Bier.

»Ich dachte nicht, dass ausgerechnet du so bist und dass ich mit dir hier alleine sitzen würde. Kann mich da an viele hehre Diskussionen und philosophische Töne erinnern – und du und César immer weit weg vom Geschehen mit den Papieren ...«

Neal lächelte.

»Ich bin eben ein Chamäleon. Sie haben mich vor einen Kriegshintergrund gestellt und so wurde ich zum Krieger.«

Ende der Leseprobe

Fußnoten

1Chibcha: Lasst uns gehen. Wenn es zu einem Kampf kommt, wird es hässlich.
Die Übersetzung ist aus dem Diccionario Bilingüe Uw Cuwa (Tunebo) von Edna Romayne Headland und wurde vom El Instituto Lingüístico de Verano und SIL zur Verfügung gestellt. Die Lizenz ist unter „FAIR USE”. Vielen Dank!

Anmerkung

Alle im Buch befindlichen Handlungen, Namen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, Namen oder Handlungen sind unbeabsichtigt und rein zufällig. Städte und Landschaften beugen sich der Fiktion.

Ihuita

bedeutet auf Spanisch: vi dar espíritu dar vida. Frei übersetzt also soviel wie dem Leben Esprit einhauchen. Der Begriff entstammt dem Tarahumara, einer Sprache der First Nations aus Chihuahua in Mexiko. Die Übersetzung ist aus dem Diccionario tarahumara de Samachique von K. Simón Hilton und wurde vom El Instituto Lingüístico de Verano und SIL zur Verfügung gestellt. Die Lizenz ist unter „FAIR USE”. Vielen Dank!