Do Lažə'

Leseprobe

Straßenvagabund strandet auf mexikanischer Hacienda und verliebt sich in die selbstbewusste Tochter des Barons. Plus unzähmbares Traumpferd. Wie im Märchen - oder doch nicht?

Was bisher geschah

Der Protagonist Neal strandet auf Don Diegos elitärer Hacienda Felicidad. Sein Auto ist defekt und er hat kein Geld weiterzufahren. Eigentlich weiß er auch nicht wohin, denn seine Großeltern sind verreist und er wagt es nicht, sich den US-amerikanischen Behörden zu stellen. Don Diego ahnt um Neals Nöte - und dass er es mit einem ausgewachsenen Dieb und Straßengangster zu tun hat. Er beschäftigt ihn zu einem Dumping-Lohn mit dem Hintergedanken, ihn bei seinem Versicherungsbetrug zu einzuspannen. Neal verliebt sich ausgerechnet unsterblich in Don Diegos Tochter.


II Brodelnde Vulkane

Kapitel 12: Piraten wurden gehängt

Hacienda Felicidad

Montag
„SIE kommen heute mit MIR, señor Chichitzeca“, sagte Don Diego.

Er blickte diesmal alles andere als freundlich; so unfreundlich sogar, dass Neal sich spontan unwohl fühlte.

„Wir haben einen Termin bei Don Marcelo", fügte Don Diego harsch an. "Ich möchte Cerus an ihn verkaufen. Sie chauffieren mich dorthin und führen das Pferd so vor, dass wir einen höchstmöglichen Preis dafür bekommen. Susana hatte sie entsprechend eingekleidet?! Ich glaube, dass zu Cerus besser ein schwarzes Hemd mit einer roten Schleife passt. Das könnte auch ihnen gut stehen könnte, wo sie so gerne den Teufel spielen?“, kam es provokativ hinterher.

Neal schaute unbewegt. Ob er das mit Susana und mir ...? Ich darf es mir nicht anmerken lassen, schon ihr zuliebe nicht!

Neal band seine Hunde auf der Hacienda fest und bat Manuel und Marcelina, auf sie zu achten. Dann half er Julián, den Pferdetransporter an Don Diegos Auto zu hängen, verlud das Tier und setzte sich korrekt ans Steuer. Don Diego kam indes herangerauscht wie ein wütender Poltergeist, riss die Beifahrertür auf, plumpste zornig in den Sitz, legte die dicke Präsentationsmappe auf den Rücksitz und warf seinem Mitarbeiter einen bohrenden Blick zu; nicht ihm, mehr aber noch dessen Garderobe.

„Herzlichen Glückwunsch, señor Chichitzeca! Die Kleidung, die ihnen meine Tochter ausgesucht hat, steht ihnen übrigens ganz hervorragend. Endlich ist es eine Wohltat zu ihnen zu schauen. Sie werden unser Gestüt Caballos Barroco Pendragon hoffentlich ausgezeichnet nach außen präsentieren?!“

Er drücke mit einer rüden, ungeduldigen Bewegung auf den automatischen Fensteröffner und winkte Lisander heran.

„Habe ich den guten Sattel und Zaum und Zaum mit?“

„Ja!“

„Auch die gute Pferdedecke?“

„Ja.“

„Danke, Lisander.“

Don Diego machte mit einer unwirschen Handbewegung Neal das Zeichen loszufahren, und dieser startete mit einem vorsichtigen Seitenblick den schweren Wagen.

„Sind sie schon einmal mit einem Pferdeanhänger gefahren oder muss ich sie anlernen?“, erkundigte sich Don Diego im gleichen Atemzug.

Neal atmete entnervt wie leise aus und fuhr langsam an.

„Selten!“, gab er zu. „Eigentlich nie, Don Diego.“

Das sagte er locker heraus, doch im nächsten Moment fiel ihm ein, dass er viele viele Jahre zuvor sehr wohl Pferdetransporter gefahren war und zwar die von Lijne Owens, die mit den gestohlenen Pferden. Für sich selbst wurde er rot. Einen Moment wollte er die Lüge zurücknehmen, doch mit einem Blick auf Don Diego schwieg er. Besser Don Diego hält mich für einen Großstadtpunk als für einen Pferdedieb. Das letztere hätte fatale Folgen.

„Ich denke, das dürfte für sie ohnehin kein Problem sein, wenn sie einen Trucker-Führerschein besitzen. Wenn wir in Saltillo angekommen sind, werden sie über ausreichend Routine verfügen, señor Chichitzeca! Ich habe mir sagen lassen, dass ihnen mehr berufliche Konzentration nicht schaden würde, die ihnen offensichtlich bei ihren privaten Engagements nicht fehlt?“

Neal wiederholte seinen kurzen Seitenblick, während er trotz des Pferdeanhängers eine elegante Kurve fuhr. Es machte ihm Spaß diesen neuen Wagen spazieren zu fahren, Spaß, die Hacienda zu verlassen, und doch wagte er kaum zu atmen in Anbetracht von Don Diegos übler Laune und dessen provokativen, ironischen Anspielungen, die er sehr wohl verstand. Er versuchte sie zu ignorieren. Ich werde mich nicht aus der Reserve locken lassen! Ich bin ein Kavalier und ein Kavalier schweigt.

Die Fahrt verlief nahezu schweigend. Don Diego beruhigte sich wieder und erzählte hier und da etwas von der Landschaft und der Geschichte des Landes, doch meist telefonierte und schwieg er. Irgendwann schlief er ein. Neal hatte ohnehin genug damit zu tun, den teuren Wagen samt Pferdetransporter zu fahren, noch viel mehr, weil er von Susana träumte. Ihm war es nur recht, dass Don Diego schlief.

Caballadero Hidalgo Talledos

Kurz vor Saltillo weckte er seinen Arbeitgeber. Nur mit stillen Handzeichen wies ihm Don Diego den Weg zur Hacienda von Don Marcelos. Nach dem Aufwachen schienen seine Blicke wieder jeden Streit der Welt zu provozieren. Neal spürte, wie ihn die bohrenden Blicke des Barons quasi vor die Wand stellten. Yo! Er, der Vater von Susana! Er steht vor mir mit einem Dreispitz, will meine sündige Seele aufspießen und mich rösten! Ieh!

Das Gestüt lag am Ende eines bewaldeten Tales inmitten einer Hügellandschaft. Als sie sich näherten, wuchs das Zuckerbäckerhaus jedoch zu einem dreigeschossigen Gebäudeklotz mit einer klassizistischen weißen Fassade. Hohe Fenster, gestaffelte Gebälkgiebel, Balkone mit gusseiserner Balustrade — das altehrwürdige Anwesen aus Gründerzeiten war einige Millionen wert.

„¡Alto!“, befahl Don Diego in Sichtweise der Toreinfahrt.

Neal stoppte den Wagen den Wagen. Don Diego pellte ein Feuchttuch aus einer Packung und erfrischte sich. Er kämmte sich die Haare und klappte den Sonnenschutz herunter, um sich im Spiegel zu begutachten. Er nickte wohlwollend zu sich.

„¡En marcha, por favor!“

Neal fuhr langsam zur Toreinfahrt. Das Gitter öffnete sich wie von Geisterhand. Auf einer Allee ging es weiter. Sie war von ehrwürdigen Bäumen flankiert, dazwischen Keramiktöpfe mit blühenden Blumen. Zu beiden Seiten erstreckten sich Weiden mit grasenden Pferden. Don Diego lotste den Wagen am Innenhof vorbei. Dahinter öffnete sich eine neue Welt: Stallanlagen, Trainingsbahnen, ein Springplatz, sogar eine kleine Galopprennbahn. Angestellte im Reitdress trainierten Pferde. Ein Sulky trabte über die Bahn, ein edles Pferd drehte seine Runden in der Longierbahn.

Neal schaute sich genervt um. Pinguin-Theater hoch zwei. Dass man Felicidad noch toppen kann?! Geschniegelte Arbeitnehmerfratzen die diesen Bonzen an den Lippen hängen und nach dem Mund reden! Aye, Sir! Yes, Sir! Sure, Sir! SUCKS! Ist das hier DEKADENT! Ich WILL das nicht mehr! Ich stell die Karre einfach ab und türme! Diese Hose knistert, das Hemd kneift, die Schuhe drücken, die Schleife nervt und erst einmal meine Miene. Die knistert, kneift und drückt und schreit danach ...!

„¡Hacia allí!“, sagte Don Diego.

Er wies Neal in eine der Parklücken und streckte sich; sein Gesicht war noch immer ernst, angespannt und verärgert.

„Señor Chichitzeca. Ich werde mich nun bei Don Marcelo anmelden. Bitte laden sie inzwischen Cerus aus, satteln sie ihn und bereiten sie ihn auf eine bestmögliche Vorführung vor. Dort vorne finden sie eine Möglichkeit ihn anzubinden und dort gibt es auch eine Tränke. Sozialräume für sich finden sie gleich dort rechts.

Er machte eine kurze Pause und fügte streng an: „UND señor Chichitzeca: Ich erwarte von ihnen eine perfekte Show im Sinne des Gestüts Caballos Barroco Pendragon! UND señor Chichitzeca: Lassen sie sich nicht von mir erwischen sich gelangweilt herumzulümmeln oder sich irgendwo auf den Boden zu setzen, so wie es mir meine Angestellten von ihnen ständig berichten. Mitarbeiter der Carranzas tun so etwas nicht. Stehen sie gerade, wach und stolz, sonst sind sie nicht länger ein Mitarbeiter von uns. Und bleiben sie bitte später an meiner Seite, denn ich weise sie an, wie sie sich zu benehmen haben.“

Neal warf ihm einen genervten Seitenblick zu. Idiotischer, blasierter Hacendado! Stehe gerade wach und stolz ... PAH! Lümmle dich nicht herum ... PAH! Wie alt bin ich denn? PAH! Ich weise dich an, wie du dich zu benehmen hast! Als könne ich mich nicht benehmen! PAH. Ich kann mich doch benehmen — oder etwa NICHT?

Er wollte etwas dazu sagen und schwieg doch, weil Don Diego ausstieg und davon ging.

Das Treffen lief ohnehin anders ab, als Neal es sich vorgestellt hatte. Don Marcelo war ein älterer Mann in einem teuren Anzug, mit teurem Schmuck und einen Gesicht, das schon nach Reichtum aussah. Er begrüßte auch ihn durch ein zivilisiertes Händeschütteln. Wann habe ich früher mal jemanden die Hand geschüttelt? Neal bekam weder eine Gelegenheit, seine gelangweilte Maske aufzusetzen, noch sich irgendwie abzusetzen. Fast sehnsüchtig schaute er durch das Tal. Jetzt einfach umdrehen und gehen ... nicht höflich sein müssen ... sich ins Auto setzen ... weit weg von diesen Criollos ...

Er musste sich heftig zusammenreißen, um dem feinen, hoch kultivierten Don Marcelo freundlich gegenüberzutreten. So zu tun, als wäre der nicht ein Criollo, sondern der Geschäftspartner seines Arbeitgebers, dessen Zufriedenheit auch ihm viel bedeutete. Keinen Monat zuvor habe ich Leute wie ihn meiden müssen, gehasst – und nun das?! Kann mich Don Diego nicht zufrieden lassen? Muss er mich zu einem solchen Treffen mitnehmen? Pferde trainieren, ja ... aber KEINE gesellschaftlichen Kontakte mit solchen sch... Criollos! Ich laufe doch nicht hier auf, um einen auf PINGUIN-Etikette zu machen! ICH doch nicht! Neal grummelte und tat sich schwer, seine überbordenden Aggressionen zu verstecken und zu vergessen.

Don Diego beachtete ihn nicht. Für ihn war ein Mitarbeiter schmückendes Beiwerk des Verkaufsgespräches, Erfüllungsgehilfe des Pferdes. Er setzte ein ordentliches Benimm schlichtweg voraus. Neal wusste, wenn er sich daneben benahm, flog er. Sein Ehrgeiz kitzelte ihn. Ich, der perro callejero, spiele ihnen eine Show vor, dass den Pinguinen die Ohren wackeln. SIE werden nicht merken, dass ich nicht zu ihnen gehöre. Ganz bestimmt nicht. Wofür war ich schließlich im Zirkus und beim Hypogene?1 Pah!

„¡Don Marcelo! Señor Chichitzeca wird ihnen nun Cerus vorführen“, sagte Don Diego geschäftig und machte Neal ein Zeichen.

Ganz so einfach war die Umsetzung seines ehrgeizigen Zieles jedoch nicht, stellte Neal schnell fest. Es gab nun einmal einen Unterschied zwischen einer lockeren Trainingsvorführung auf der Reitbahn der Hacienda Felicidad und einer elitären Verkaufsshow unter den Blicken von professionellen Züchtern und Trainern von Hochleistungstieren. Dem plötzlichen Druck war Neal dann doch nicht gewachsen. Don Diego übernahm das Denken für ihn und gab ihm selbstverständliche, klare wie strikte Anweisungen, was er zeigen sollte. Neal war plötzlich doch froh, dass er nur auf den Hacendado und dessen Befehle achten und darauf reagieren musste; er konzentrierte sich auch nur auf ihn und Cerus in genau der Reihenfolge. Die Ernüchterung traft ihn wie eine Ohrfeige. Entweder schätze ich den Schwierigkeitsgrad zu niedrig ein oder mich zu hoch.

Es folgte die übliche Vorführung: Einige Runden Dressurreiten, dann einige an der Longe. Erstmals war Neal froh, dass ihn Susana mit teurer, eleganter Kleidung ausgestattet hatte. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass die Beobachter auch ihn mit Hochachtung musterten und in ihm nicht den Vagabunden sahen.

Don Marcelo winkte die Vorstellung mit einer herrschaftlichen Geste ab.

„¡De acuerdo! ¡Cerus es mío!“, bestätigte er kurz.

Neal setzte an, Cerus wegzubringen und abzusatteln.

„Lassen sie das den Burschen machen, señor Chichitzeca“, sagte Don Marcelos wie selbstverständlich auf Englisch an. Er lächelte freundlich. „Wir haben uns eine kleine Pause verdient. Sie sind herzlich zu einem Kaffee und einem Snack eingeladen.“

Neal nickte freundlich, doch bedachte Don Diego mit einem zornigen Blick. Blödsinniger Job! Idiotische Criollos! Dämliche Anstandsfloskeln! Kommen sie doch mit uns, señor Chichitzeca ... Pah! Lassen sie das den Burschen machen ... Pah! Wo bin ich nur hineingeraten? Ausgerechnet ich! Nie wieder lasse ich mich von Don Diego irgendwohin mitnehmen.

Nur ein kurzer, ermahnender Blick Don Diegos brachte ihn sofort zurück; es war ein Blick, der sämtliche rebellischen Ansichten auslöschte. Aye, Sire! Und WIE ich mich benehmen kann. Boot camp hoch zwei.

***

Zwei Stunden später ...
Neal staunte nicht schlecht. Fünfhunderttausend Peso als Scheck und gut dreihunderttausend Peso Bargeld nur für ein einziges Pferd! Das sind umgerechnet fünfundzwanzigtausend Dollar Bargeld? Was kann man damit nicht alles tun! Ich, der keinen Dollar pro Stunde verdient! Awesome!

Es war mehr Geld, als Neal in den vergangenen Jahren in der Hand gehalten hatte. Er dachte zurück an Trujillo, dass er auf der Straße gekniet und um céntimos für sein Essen gebettelt hatte, um nicht zu verhungern. Und er dachte ein zweites Mal an Trujillo: An Paqueira und Octavio und eine gemeinsame Existenz für sie und sich. Die fünfundzwanzigtausend Dollar fühlten sich an wie Millionen. Schwarzes, unversteuertes, illegales Bargeld, für das es keinen Beleg gab. Keine Anzeige, wenn er es stahl.

Nur einen Moment überlegte Neal, wie schön es wäre, selbst das Bargeld in Händen zu halten. Alleine sein Groll gegen Hacendados, Criollos und die bürgerliche Gesellschaft war genug Rechtfertigung für einen klitzekleinen Raub. Im nächsten Moment dachte er an seine Großeltern und deren Worte: Du bist Xegua Quinatzin Chichitzeca! Yo’on lao na’abo’, ya’o xagolǝ!2 Dafür bin ich nach Mexiko zurückgekehrt! Ich, der benǝ’ gwnabia’ šyiš, der weiße König.3 Hoffentlich habe ich das Zapoteco richtig dekliniert? Au, höre ich da schon die gedanklich Ohrfeige ... So oder so!

Neal wies er den Gedanken eines Diebstahls weit von sich. Wenn ich wirklich Geld brauche, hole ich mir mein Geld, dass mir mein Vater damals GESTOHLEN hat! Dreißigtausend Dollar plus Zinsen von dreizehn Jahren! Der Ravino Hillock! Soll er ihn doch verkaufen, um seine Schuld bei mir zu begleichen! Es ist MEIN eigenes Geld und ICH habe es nicht nötig, den Hacendado um sein Geld zu prellen. Feiger Raub? Nein! Als ob ich so vor Susana stehen will!

„Señor Chichitzeca! Legen sie mir bitte das Bargeld in das Handschuhfach“, befahl Don Diego.

Er setzte sich auf die Fahrerseite und überreichte Neal den dicken Briefumschlag, noch bevor er startete.

Umgehend verließen sie das Anwesen von Don Marcelo und fuhren durch die Dämmerung in die angehende Nacht. Neal schaute aus dem Fenster und betrachtete gedankenverloren die Landschaft, die an ihnen vorbeiflog. Er schob den Briefumschlag nicht ins Handschuhfach, sondern hielt ihn weiterhin in der Hand. Schließlich öffnete er ihn und scrollte mit den Fingern gedankenverloren durch die vielen Scheine wie durch einen Schreibblock.

Don Diego warf ihm beim Fahren einen flüchtigen Blick zu. Er lauerte. Er beobachtete ihn, den Bettler, den vorbestraften Dieb, aus dem Augenwinkel. Jetzt hat er die Gelegenheit. Er nimmt mir mein Handy ab, wirft mich aus meinem Auto heraus und taucht unter. Dreihunderttausend Peso im Tausch gegen ein Schrottauto und zwei Hunde, die es bei uns gut haben ... die wir, im Gegensatz zu ihm, versorgen können.

„Wie weit kommt man mit so viel Geld auf einer Hacienda wie Felicidad?“, erkundigte sich Neal kühl. „Dreihunderttausend Peso! Die Angestellten verdienen zehn- bis zwanzigtausend? Frederico Dorrantes fünzigtausend, so wie er sich gibt? Dazu Strom, Unterhalt, Tierarztkosten, Futter, Fahrzeugpark, Rücklagen! Es reicht nicht einmal für eine Woche, nicht wahr?“

Don Diego schüttelte verneinend den Kopf, schweigend, abwartend, lauernd, während er unbeirrt die Straße entlang fuhr; schnell und ruhig. Der Wagen lag satt auf der Straße und fuhr wie auf Schienen; man spürte ihm an, dass er teuer war. Neal sah gedankenverloren aus dem Fenster, während er träumerisch mit dem Geld spielte.

„Als ich vierzehn war, half ich einem blanken Pferdezüchter sich an fremden Rindern, Wildpferden und Pferden zu bereichern, weil mein Vater mich nicht versorgen wollte. Ich verdiente mehr Geld an einem Tag als bei ihnen in drei Monaten“, sagte Neal.

„Sie arbeiteten auch als Pferdedieb?“, fragte Don Diego verwundert.

Noch immer scrollte Neal mit den Fingern durch das viele Papiergeld und schaute aus dem Fenster heraus, nur nicht zu Don Diego. Er antwortete nicht auf die Frage.

Viel zu spät fügte er an: „Indem ich Cerus gut vorführte, konnten sie gut einhunderttausend Peso mehr für ihn bekommen.“

Er griff in den Briefumschlag, zählte sich einhunderttausend ab, holte sie heraus und ließ auch diese durch seine Finger scrollen, so, als ob sie ihm gehörten. Lauern zwischen ihnen beiden.

„Mit einhunderttausend Peso kann ich mir in Peru eine neue Identität kaufen und eine Existenz aufbauen, die mir ein bescheidenes Auskommen sichert“, fügte er dem an.

Er holte das Restgeld aus dem Briefumschlag und ließ es durch seine Finger gleiten, besitzergreifend.

„Mit dreihunderttausend Peso kann ich in Peru eine Existenz gründen, die mich bis zur Rente ernährt“, sagte er. „Sie können es mir nicht einmal beweisen, denn es ist Schwarzgeld.“

Noch immer scrollte er durch den Stapel Geldscheine, träumerisch und doch kalt. Er schwieg nachdenklich. Don Diego war wachsam. Kommt er jetzt mit seinen fadenscheinigen Ausreden und nimmt sich das Geld sofort oder will er mir erst irgendetwas erzählen, um sein diebisches Gewissen zu beruhigen?

Neal wandte sich noch einmal an den Hacendado und meinte ebenso kühl: „DAS ist der Unterschied zwischen KEIN und VIEL Geld! Darf ich Byron lose zitieren?

Die vogelfreie Piratenhorde plünderte einst den halben Erdball.
Als sie aufgerieben wurden, packten die restlichen von ihnen
das ein, was sie noch besaßen und suchten einen sicheren Strand.
Sie besaßen nicht viel, nur ihre Ehre, ehrliche Schurken zu sein.4

Neal schüttelte für sich den Kopf, steckte das Geld zurück in den Briefumschlag und legte diesen ins Handschuhfach.

„Sparen sie sich jeden weiteren Versuch zu testen, ob ich ihnen das Geld stehle und flüchte, denn ich werde es nicht tun“, sagte er kühl, aber freundlich. „Don Diego?! Halten sie an, rutschen sie durch und lassen mich weiterfahren! Sie sehen müde aus und haben sich eine Pause verdient.“

Don Diego war erleichtert, dass sich der Konflikt so einfach gelöst hatte. Schwungvoll fuhr er an den Straßenrand und hielt.

„JUNGE! Bist nicht so dumm wie du tust“, murmelte er. „Könnte fast noch was aus dir werden, wenn du dich anstrengst.“

„Und wenn ich es nicht tue?“, fragte Neal ernst.

„Piraten hat man früher oder später aufgehängt, wenn man sie fasste. Oder sie wurden begnadigt und arbeiteten im Dienste der Krone. Ist eine Frage der Bequemlichkeit und nicht des Stolzes, denn Stolz ist eine Definitionsfrage. Willst du untergehen oder nicht? — Wie oft haben sie dich schon vom Strick losgeschnitten und wie hoch sind deine statistischen Chancen noch einmal zu entkommen? DAS solltest du dich fragen!“

Neal nickte in der Dunkelheit, denn er fand, Don Diego hatte Recht. Ich will nicht auf der Straße zugrunde gehen!

***

Hacienda Felicidad

Viel, viel, viel, viel später ...

„Ist doch nichts passiert.“ Don Diego strahlte seine Frau gutgelaunt an. „Ein ehrlicher Mann! Schätze, er wäre nie so geworden, wenn ihn nicht die Lebensumstände dazu gezwungen hätten. Hat wohl auch eine Menge dummer Fehler gemacht, weil er wild und unendlich eigensinnig ist.“

„Egal was dich wie macht. Solange du Böses anstellst“, bedachte Doña Reina nachdenklich.

Doch Don Diego lächelte gutmütig.

„Ich bin mir nicht sicher, ob er aus freien Stücken böse ist, wenn man ihm strikt einen anderen Weg weist, aber ich bin mir natürlich auch nicht sicher, ob dies eine Fehleinschätzung ist. – Trotzdem: Er muss noch viel lernen, denn er weiß gar nichts! Unsere Angestellten haben recht: Er ist ein aufsässiger, bockiger und undisziplinierter Lümmel, weil er es sein will. Und das Denken muss er sich abgewöhnen, wenn er weiter für uns arbeiten möchte. Dennoch: Ich war stolz, denn er machte bei Don Marcelo eine gute Figur, und Marcelo wollte mir unseren neuen Mitarbeiter auf der Stelle abwerben. Nun gut.“

„Und was weiter?“

„Gleich morgen werde ich Chichitzeca zusammen mit Nestor wieder beim Pferdetraining Feuer machen! Ich habe eine wilde Frau, fünf wilde Kinder und eine Hacienda mit Hunderten wilden Tieren! Ich werde mich doch nicht von einem wilden Lümmel an der Nase herumführen lassen! ER wird spätestens morgen Abend wissen, dass er mit mir nicht spielen kann. Jetzt gerade!“

Doña Reina schüttelte ihren Kopf.

„Reize ihn nicht zu viel, Diego, denn wir brauchen ihn. Wenn er die Pferde gut trainiert, gut vorführt und wir sie zu einem weitaus höheren Preis verkaufen können ...“

„Ich weiß, ich weiß. Dennoch: Das Geschäft mit Haïzum scheint sich in unserem Sinne zu entwickeln. Wenn wir wirklich den Weg gehen wollen und müssen, dann brauche ich IHN. Aber ich will ihn noch weiter aus der Reserve locken, damit ich mir seiner sicher sein kann. Und, Reina: Wofür haben wir einen Kopf, wenn nicht zum Denken?! Sollen die Banken mich HIER in Felicidad mobben: Sobald wir das Geld für Haïzum erhalten haben, steht unserer neuen Bankverbindung in Guadalajara nichts entgegen! Wir Carranzas geben nie auf; wir sind zum Kämpfen geboren!“

Ende der Leseprobe

Fußnoten

1Theatergruppe in Phoenix, Arizona
2Zapoteco Yatzachi: Übernehme Verantwortung. Ja, Großvater.
3Redewendung aus dem Zapoteco Yatzachi
4Inspiriert von George Gordon Byron: The Corsair, Canto 3, ch. 5

Anmerkungen

Die Übersetzung der Fußnoten 2 und 3 sind aus dem Diccionario Zapoteco de Yatzachi von INEZ M. BUTLER H. und wurden vom El Instituto Lingüístico de Verano und SIL zur Verfügung gestellt. Die Lizenz ist unter „FAIR USE”. Vielen Dank!

Alle im Buch befindlichen Handlungen, Namen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, Namen oder Handlungen sind unbeabsichtigt und rein zufällig. Städte und Landschaften beugen sich der Fiktion.

Do lažǝˈ

heißt »Mit Mut, mit Aufrichtigkeit, ohne Täuschung, stark, auf ehrenvolle Weise«. Der Begriff entstammt dem Zapoteco Yatzachi, einer Sprache der First Nations aus Oaxaca in Mexiko. 📓 Die Übersetzung ist aus dem Diccionario Zapoteco de Yatzachi von INEZ M. BUTLER H. und wurde vom El Instituto Lingüístico de Verano und SIL zur Verfügung gestellt. Die Lizenz ist unter „FAIR USE”. Vielen Dank!